Vom Rock’n’Roll lernen, heißt für das Leben zu lernen. Auf die Elternschaft bereitet einen der Plattenschrank allerdings ziemlich mies vor, meint unser Kolumnist Michael Setzer.

Stuttgart - Ich habe viel von Rockmusik gelernt, wahrscheinlich mehr als aus Büchern. „I Wanna Live“ von den Ramones zum Beispiel. Ja! Leben ist super. Oder „Nazi Punks Fuck off“ von den Dead Kennedys – überprüft, verifiziert und für gut befunden. Die Dead Kennedys leiten sogar zum freien Denken an, von mir aus können sich nämlich alle Nazis schleichen.

 

Aufs Elternleben bereitet Rock’n‘Roll eher schlecht vor. Sieht man von Robert Plant und Led Zeppelin ab, der ständig „Uh, Baby, Baby, Baby“ singt. Das ist eine durchaus zutreffende Zusammenfassung des Elternlebens. Doch spätestens bei Rocklyrik wie „Baby, I Wanna Rock You All Night Long“ wird’s haarig. Erstens: Das Kind die ganze Nacht schaukeln? Herrjeh, schlafen soll er. Schlafen. Und Zweitens: Ich glaube, der Interpret singt in Wahrheit vom Knattern.

Rockstars haben andere Talente

Rockstars, auch das muss mal gesagt werden, sind eine spezielle Spezies. Ich will nicht sagen, dass die allesamt riegeldumm sind, die Kernkompetenzen und Begabungen von Rockstars liegen jedoch meist in Bereichen, in denen nicht nach einem Gegenmittel gegen Krebs oder die Klimakrise geforscht wird.

Rockstars schreiben Hits, singen super, tanzen toll oder sehen scharf aus. Und als Gegenleistung für diese Gabe, die Talente und die Schwerarbeit an der Kunst, lässt man ihnen allerlei Nachlässigkeiten durchgehen.

Gut, manche sind tatsächlich dumm. Ich weiß das, auch weil ich oft das Vergnügen habe, Edding-Malereien von Musikern auf Backstage-Toiletten zu lesen. Da malen Rock’n‘Roller große Pimmel an die Toilettenwand und schreiben „Fucking Europe 2015“ drunter. Andere Rockstars sind etwas abgehoben und verlangen vor Konzerten M&Ms in besonderer Farbe – rot, bitte – und die Musiker der Band Aerosmith besorgten sich einst Verlängerungskabel, damit der Fernseher noch läuft, wenn er durch das geschlossene Hotelzimmerfenster geworfen wird.

Maestro und Diva

In der Hochkultur geht’s nicht viel gesitteter zu. Bei denen heißen Rockstars eben „Maestro“ oder „Diva“. Die spielen nicht in Clubs oder Mehrzweckhallen, sondern in Konzerthäusern ab 800 Millionen Euro Baukosten aufwärts – drunter wäre ja keine Kunst. Ohne leitenden Beistand erscheinen solche Leute im echten Leben etwas fachfremd. Für alles außerhalb der Kunst gibt’s daher Manager, persönliche Assistenten oder Roadies. Das sind die Leute, die nicht googeln müssen, wie man eine Banane öffnet.

Wo ich herkomme ist „Rockstar“ oder „Diva“ kein Kompliment. Wahrscheinlich liegt das auch ein bisschen am Neid, dass mir keiner den Kopf hinterherträgt und fragt, welche Farbe es denn heute bei den M&Ms sein dürfte.

Früher fand ich es auch ärgerlich kokett, wenn Eltern ihren Kindern T-Shirts angezogen haben, auf denen „Rockstar“ steht. So viel Respekt habe ich nämlich trotzdem vor Rock’n’Roll: Auch wenn viele ihre Kinder für hochbegabt halten, ich wette, dass keines der Kindern je einen Hit geschrieben oder sogar eine gute Platte veröffentlicht hat. Keines.

Die Roadcrew arbeitet

Mittlerweile weiß ich allerdings: Kinder sind tatsächlich auch ein bisschen Rockstar, Maestro und Diva. Ich weiß das, weil ich mittlerweile als Roadie und persönlicher Assistent eines Kleinkindes arbeite. „Kann ich noch eine Zahnbürste für mich einpacken?“, frage ich die knallharte Managerin des Kleinen vor dem Urlaub. „Schwierig!“, sagt sie und verweist darauf, dass wir ja nicht mit einem SUV oder LKW in den Urlaub fahren und da schon viel Zeug im Auto wäre.

Dem Kleinen ist das egal. Das Tourmanagement wird sich schon kümmern. Er ist damit beschäftigt, sich die Socken auszuziehen. Einen nach dem anderen, immer wieder. Ich bereife ihn neu und es geht von vorne los: Er brabbelt mich wütend an, wirft die erste Socke durch die Wohnung und dann die andere – auch wieder unter gebrabbeltem Protest. Gegen was auch immer.

„Ah, Punkrock!“, denke ich, so wie ich immer „Ah, Punkrock!“ denke, wenn ich keine Lust habe, zu viel nachzudenken. Unter vergnügtem Kichern räumt der Kleine derweil wieder den Quatsch aus dem Koffer. Gleichermaßen faszinierend: dass wir für den Kleinen einen Koffer voll mit Kleidung, Nippes und Utensilien packen, in den er selbst drei Mal reinpassen würde.

Herr Baby beliebt zu speisen

„Uähhhh“, sagt der Kleine plötzlich. Das heißt übersetzt: „HUNGER!!“. Für uns von der Roadcrew heißt das: Alles sofort stehen und liegen lassen, der Maestro beliebt zu speisen. Ich bilde mir sogar ein, dass er „Herr Baby!“ genannt werden will.

Was „Da biu biu“ heißt, weiß ich auch: „Sagenhaft, dieser Brei! Eigentlich habe ich auch einen Mordshunger, aber jetzt möchte ich erst mal mich, euch und die komplette Wohnung damit zukleistern.“ Dann hat er eine Ladung mit dem Löffel nach dem Hund geschossen. Pflatsch. Punkrock.

Kurze Zeit später lässt er uns weiter packen, krabbelt aber zielstrebig an uns vorbei in den Cateringbereich. Orr, Schnell hinterher. Ich würde Udo Lindenberg ja auch nicht unbeaufsichtigt bei uns in der Küche lassen.

Lesen Sie hier mehr aus der „Kindskopf“-Kolumne

Michael Setzer ist vor einem Jahr Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht. Am Sonntag 17.11. (11:30 Uhr) liest Michael Setzer im Stuttgarter Merlin aus den „Kindskopf“-Kolumnen.