Steiles Outfit, viel rumliegen und Party machen – Babys leben den Traum. Der Ernst des Lebens fängt ja eh viel zu früh an, befürchtet unser Kolumnist Michael Setzer. Ganz ehrlich: Er ist ein bisschen neidisch.

Stuttgart - Wir haben jetzt eine Babywippe und vielleicht bin ich ein bisschen traurig, dass ich da nicht reinpasse. Das Ding ist viel zu klein, ansonsten aber natürlich sagenhaft gut: sieht aus wie eine Hollywood-Schaukel für Fans von Alexander Gerst, verfügt über verschiedene Schaukelstärken und düdelt per Knopfdruck auch noch liebliche Melodien, damit sich das Kind beim Schaukeln nicht langweilt. Ich hoffe, dass der Kleine nie derartig abstumpft, dass er sich beim Wippen langweilen würde.

 

Ich sag, wie es ist: Wenn ich könnte, würde ich den Rest meines Lebens in dieser Wippe verbringen. Aber für mich ist eh klar, das Baby lebt den Traum: steiles Outfit, den ganzen Tag lustige Körpergeräusche machen, auf der Mutter rumliegen, ein bisschen Quatsch machen, essen und schlafen. Zack, fertig. Das ziemlich gute Leben. Mir ist schon klar, dass wir sehr verwandt sind.

Ich ertappe mich allerdings immer wieder dabei, etwas neidisch zu werden. Nicht so schlimm, dass ich den Kleinen beim Krabbeln von der Couch schubsen würde, aber stark genug, dass ich manchmal stoßseufze und „Hach, Du Sack!“ denke.

Wichtigeres zu tun

Babys haben beispielsweise keine Ahnung, dass da draußen 2019 ist. Das haben viele Erwachsene auch nicht, aber bei Babys ist das nicht himmelschreiender Dummheit geschuldet. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die den Knall nicht gehört haben, können Babys tatsächlich von sich behaupten, dass sie gerade wirklich etwas Wichtigeres zu tun haben.

Manchmal starrt der Kleine sogar Löcher in die Luft und ich habe gelesen, man solle ihn dabei bitte nicht stören. Einfach machen lassen, nicht ablenken. Auf Säuglinge prasselt derart viel ein, sie gönnen sich kleine Auszeiten, um den ganzen Quatsch irgendwie zu sortieren. Draußen auf der Straße heißt das wahrscheinlich, er „chillt seinen Lifestyle“ oder das „Sabbatical des kleinen Mannes“. Bei mir heißt das: Klappe halten und „Aww!“ denken. Könnte ich auch den ganzen Tag lang machen – und Black Sabbath hören, natürlich.

Erste Hochrechnung: Royals, Heidi Klum, CSU, Peaches – sind dem Kleinen völlig egal. Black Sabbath, Brexit und Bundesliga auch. Ich wette, es gibt sogar Babys die noch nie in ihrem Leben absichtlich „Bohemian Rhapsody“ von Queen angehört haben. Auch die fürchterlich weltmännische Plattensammlung des Vaters ist dem Kind egal.

Die Liste der Dinge, die Babys meilenweit links und rechts an der Windel vorbeigehen, ist nahezu vorbildlich. Wahrscheinlich interessieren sie sich für Dinge, die uns Erwachsenen gar nicht mehr auffallen. Kein Wunder, bei denen ist alles neu: die Haut, die Leber, die Lunge, die Nieren, die Augen, der Blick, wirklich alles. Sogar seine Käsefüße riechen super. Bei solchen Voraussetzungen lässt man sich nicht unnötig ablenken.

Selektive Interessen

Annähernd jeden Anlass, den ich als stark genug befunden hätte, schlechte Laune zu bekommen, wischte der Kleine seit seiner Ankunft mit einem Lächeln weg. Seine Backen werden dann immer ganz groß und aus den Augen schießen Blitze, die nach Liebe, Frühling und so duften. Das Baby lacht mich an und meine einzige Angst ist, er könnte irgendwann wieder damit aufhören.

„Möge deine Neugier am Leben nie enden“, habe ich geflüstert und den Kleinen beobachtet, der völlig fasziniert und mit weit aufgerissenen Augen auf seine Hände schaut, sie knetet und offensichtlich gerade merkt, dass die ihm gehören. Beide. Und dann – orale Phase und so: sofort die Hand in den Mund gesteckt. Mehr Begeisterung habe ich noch nie gesehen.

Die andere Hand streckte er mir kieksend entgegen. Ich denke, er meinte: „Alter! Bockstark! Probier‘ auch mal“. Zumindest hoffe ich das. Ansonsten hält er mich jetzt eventuell für einen Idioten.

Party und Eskalation

Wir haben rumgelegen an seinen Fingern geknabbert, ohne Rücksicht auf Verluste gelacht, gequietscht, uns freundlich gestupst und uns in einer Fantasiesprache unterhalten, die für Außenstehende ungefähr so klingt: „Yeah. Jaaa, genau. Agaa. Super wieehh gugu“. Er fing an, ich antwortete und dann andersrum – wir haben uns hochgeschaukelt bis zur völligen Eskalation.

Und immer wieder quietschte er mit dieser Freude, mit der das nur Leute tun, die tanzen können, als würde niemand zugucken. Keine Angst, keine Agenda, nur Freude im Sinn. Es war so schön, ich hab fast geheult. Und er so: „Wieeh ha hu blblbl gaaaa“. Ich: „Alles klar, ich schaue, was ich tun kann!“.

Natürlich hätte ich stattdessen auch um die Ecke ins Stadion zum VfB Stuttgart gehen oder wie andere alte Männer im Internet verbal auf ein sechzehnjähriges Mädchen eindreschen können, das Umweltschutz für eine gute Sache hält. Diese widerlichen Leute sollten Greta Thunberg in Ruhe lassen, ihr zuhören oder sich ein bisschen von ihrer Begeisterung anstecken lassen und schauen, was denn machbar wäre.

Oder sich wenigstens eine verdammte Babywippe zulegen.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Er interessiert sich sehr für höllisch laute Musik. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.