Mit Darth Vader und Elton John an der Bushaltestelle – Schlafentzug macht’s möglich. Dank nachtaktivem Baby sieht unser Kolumnist Michael Setzer die Welt mit neuen Augen.

Stuttgart - Ich bin so alt, ich habe die Ramones in der Böblinger Sporthalle und den VfB Stuttgart mit Meisterschale gesehen. Außerdem sitze ich mittlerweile gerne in Fahrtrichtung. Trotzdem wurde ich neulich „jung“ genannt. Jemand sagte „junge Eltern“, was sich allerdings – so realistisch muss ich sein – eher am Alter des Kindes als an meinem festmachte. Ich falle eher in die Kategorie: auf dem Rückweg. Oder wie Roger Willemsen gesagt hätte „halb erloschen“, was natürlich nur ein bisschen stimmt und gleichzeitig auch eine irrwitzige Koketterie ist. Willemsen ist leider nicht mehr da.

 

Wer ein Kind hat, braucht keinen Wecker

Der Tod war mir bislang ein bisschen egal. Nicht im Sinne von „Na und?“, sondern eher: Von der Angst ist noch niemand unsterblich geworden. Schlaf war mir auch nie wichtig, ich halte es da mit den Großen des Rock’n’Rolls: lieber nicht zu viel schlafen, man könnte sonst etwas vom Fahrtwind des Lebens verpassen.

Ein Kleinkind ist ein guter Anlass, dieses Unterfangen nachhaltig anzugehen. Denn im Zuge meiner Neustrukturierung hin zu etwas mehr Unsterblichkeit habe ich meinen Zigaretten-, Alkohol- und Talkshow-Konsum mindestens halbiert – blöd: den Schlaf leider auch.

Die gute Nachricht, liebe Verschwörungsfreaks: es gibt keine Wecker-Lobby, keine mysteriöse Geheimloge die für internationale Weckerhersteller Politik betreibt. Sonst hätten die längst Kinder verboten. Denn seit ich eines im Haus habe, ist der Wecker völlig hinfällig. Ich könnte problemlos Termine um 1:34 Uhr, 2:47 Uhr oder 5:38 Uhr machen und müsste nicht mal den Wecker stellen. Leider sind meine Freunde zu solchen Uhrzeiten wahnsinnig betrunken, im Bett oder komplett von Sinnen. Aber ich will nicht meckern, Termine mit dem Säugling sind zu diesen Uhrzeiten auch erquickend.

Schlafentzug macht etwas karussellig im Kopf

Mal hat er ein Problem, und es schmeichelt ungemein wenn man da der TopA-Ansprechpartner ist. Und manchmal hat er überhaupt kein Problem – und das ist natürlich noch viel fantastischer. Er nutzt dann lediglich seine Freude und den Mitteilungsdrang, um die Mutter wachzuboxen, ein bisschen zu treten und rumzubrabbeln – oder er zieht den Vater am Bart. Er lacht dann und es gibt eben nichts Schöneres, als ein Kind, das beim Lachen quietscht. Und darum geht’s ja.

Aber was weiß ich schon? „Junge Eltern“ sind oft nur vermindert zurechnungsfähig, denn sie sind komplett übernächtigt, ständig müde, wirr im Kopf. Würden Darth Vader oder Elton John morgens mit mir an der Bushaltestelle warten, nichts daran erschiene mir seltsam. Ich würde wahrscheinlich „Guten Morgen!“ sagen, vielleicht auch fragen, ob sie den 42er auch so super finden, ebenfalls so eine 9-Uhr-Monatskarte haben und ob das vier Meter große rosa Plüschkaninchen mit dem Iron-Maiden-T-Shirt auch zu ihnen gehört.

Ich sag wie’s ist: Schlafentzug und Etappendösen macht etwas karussellig im Kopf – wie in so einer Zwischenwelt aus Zwölftonmusik, finnischem Autorenkino, Twin Peaks und irgendwas von Richard Wagner. Manchmal schaue ich um 13 Uhr, ob ich das Haus am Morgen eigentlich mit Schuhen verlassen habe oder denke mir nichts dabei, wenn im Kühlschrank ein Telefon liegt. Kürzlich habe ich „Ach, halt doch deine Fresse!“ zu einem Plüschtier in der Ecke gesagt. Hab mich später aber entschuldigt.

Plötzlich wird die Freiheit langweilig

Manchmal fällt man auch einfach ins Koma. Die Mutter hätte mir neulich fast eine geschallert. Ich sagte: „Och, heute Nacht hat der Kleine aber super durchgeschlafen!“ Sie versicherte mir, dass lediglich der Dicke mit dem Bart durchgeschlafen hätte.

Und dann der Irrsinn. Die Frau hat Kind, Hund und sich selbst geschnappt und ist zur Oma in die Eifel gefahren. Die Eifel ist toll. Frauen aus der Eifel können eine Bierflasche an einem Gänseblümchen öffnen. Und dann stehe ich plötzlich alleine in der Wohnung, zwischen Bett und grenzenloser Freiheit.

Niemand will mehr die Windeln gewechselt bekommen, Quatsch machen oder mich am Bart ziehen, kein Hund, der um den Block geführt werden will – dafür eeeennndddllich ein Bett für mich alleine, ungestört schlafen oder mal wieder ohne Kopfhörer Lieder über Freiheit und Körperverletzung bollern.

Erste Hochrechnung: Nach circa 23 Minuten wurde diese Freiheit unglaublich langweilig. Meine aufgeweckte Gang fehlt mir. „Die sollen endlich wiederkommen“, sagte ich zum Stofftier in der Ecke. „Schlaf jetzt“, murmelte es zurück. „Und sag bitte nie wieder ‚Halt die Fresse’ zu mir“.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Er interessiert sich sehr für höllisch laute Musik. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.