Ein weitverbreiteter Irrglaube: Mit Eltern könne man nicht mehr richtig feiern gehen. Das stimmt nicht. Unser Kolumnist Michael Setzer weiß, wie man feiert. Neuerdings sogar mit Tröte.

Stuttgart - Hedonismus ist kein Kindergeburtstag. Das ist harte Arbeit. Ich will nicht angeben, aber was solche Dinge angeht, bin ich tatsächlich Experte. Ich war in meinem Leben schon auf sehr vielen guten Partys. Außerdem bin ich so alt, dass ich weiß, wenn Ü40er nach einer Party sagen, „Hui, das war jetzt aber schön! Müssen wir unbedingt öfter machen“, dass sie dann „nächstes Jahr“ oder 2023 meinen. Nicht kommenden Freitag.

 

Rückblickend vermute ich: Die besten Partys waren immer die, an die man sich später nicht mehr in vollem Umfang erinnern kann. Bitte nicht verwechseln mit den Events, die man nur bruchstückhaft in Erinnerung behält – anhand von Schrammen, Schadensersatzforderungen oder Sonderberichterstattung gegen 20.15 Uhr in der ARD.

Niemand erinnert sich an seinen ersten Geburtstag

ARD-Brennpunkt gab’s zu meiner Geburt vermutlich keinen, man hätte mir das sonst irgendwann mal erzählt. Beim ersten Geburtstag: auch nix. Ich erinnere mich zumindest an nichts, gehe aber trotzdem davon aus: Das muss ein rauschendes Fest gewesen sein. Außerdem erscheint es mir mittlerweile schwer vorstellbar, dass ein erster Geburtstag nicht die beste Party der Welt sein könnte. So schlau war ich nicht immer.

Im Sommer schwebte eine aufblasbare „1“ im Park unseres Viertels. Unter dem unförmigen Luftballon saßen einige Erwachsene, ein paar Kinder, da war ein Grill, Bierbänke, Getränke und leichte Musik. Es waren offensichtlich die Feierlichkeiten eines ersten Geburtstags.

Der Idiot in mir dachte: Was für Idioten. Der Idiot in mir denkt manchmal, ohne nachzudenken. Wie albern das sei, dachte er in diesem Moment. Das Baby bekommt doch gar nix mit von diesem Fest. Es weiß nicht mal, weshalb die ganzen Leute da sind und wer die überhaupt alle sind. Wie auf so einer Altbau-WG-Party in Stuttgart-West in den Neunzigern.

Andererseits: eine Party bei der sich Gastgeber bereits um 14.30 Uhr zum Schlafen abgelegt hat – alle Achtung. „Leute, ich hau mich mal aufs Ohr. Der Letzte macht bitte das Licht aus. Tschüssikowski.“ Dieser Gastgeber hier, schlief zu dieser Uhrzeit auf einer Frau ein. Auch gut. Also, wenn die Frau das ebenfalls möchte.

Die Party des Jahres

Und, Zack. Nur ein paar Monate später befestige ich eine vier Meter lange Partyluftschlange aus buntem Papier mit Reißzwecken an der Wand im Wohnzimmer. Ein bisschen höher? Ja, ein bisschen höher noch. Orr, links oben muss noch etwas Schwung rein. Sieht dann lebendiger aus. Geschenke verpackt? Ja.

„Geil! Das ist so albern“, sage ich. Und die Frau rollt mit den Augen, wie sie das oft tut, wenn der Idiot in mir wieder Überstunden macht und dabei redet. Auf dem CD-Player liegt griffbereit eine Kinderhit-Sammlung, in der Küche steht schon ein kleiner Kuchen, der nicht sehr gut schmecken wird, dafür aber problemlos auch von Einjährigen gegessen werden kann. Es steckt eine Kerze drin, sie hat die Form einer „1“.

Die Geschenke wurden vorher versteckt, damit der Kleine sie nicht versehentlich entdeckt und viel zu früh „Yeah! Ein Baby-Keyboard!“ ruft. Das wäre zwar bemerkenswert, da der Kleine noch nicht spricht, doch als geübter Geschenkeverschenker weiß man: es kommt auch auf den richtigen Zeitpunkt für Geschenke an.

Nonstop Programm

Für den Zwischenspaß haben wir Partytröten besorgt. Man bläst rein, es trötet und es rollt sich so eine Papierschlange aus. Kommt noch besser wenn man dabei bunte Partyhütchen trägt und unglaublich besoffen ist. Das wollen wir aber nicht, wir sind ja nicht albern. Aber: Wir sind bereit für die Party des Jahres.

Schätzungsweise wird der Event gegen 7 Uhr in der Früh starten und den ganzen Tag lang dauern – nonstop. Ab und an vielleicht zwischenschlafen und dann weiter: essen, trinken, spielen, Zeug und Lebensmittel durch den Raum und irgendwas umwerfen, rumbrüllen, laut lachen, umfallen, aufstehen, Outfit wechseln – was man als Einjähriger halt so den ganzen Tag macht.

Bilder, Bilder, Bilder

Kurz vor 0.56 Uhr überkommt mich leichte Gänsehaut, die Augen werden ein kleines bisschen feucht und ich selbst tranfunzelig. Jegliche Anflüge von Ironie – weg. Weil mir einfällt, wie das exakt vor einem Jahr um 0.56 Uhr war. Nicht die leiseste Ahnung, ob ich mich an alles erinnere, da sind nur Bilder, Bilder, Bilder – als würde jemand mit nervöser Hand durch die Kanäle im Fernsehen zappen und auf jedem Sender läuft etwas Gutes. Wenn’s je etwas zu feiern gab – dann diesen Tag.

Ich hätte gerne „Awww. Super!“ gebrüllt, solche Gefühle müssen schließlich raus. Geht aber nicht. Nebenan schlafen gerade Kind und Mutter. Die wollen fit für die Party sein. Ich feiere beide. Ganz still. Fotografiere die verpackten Geschenke, falls er mal fragt, wie das eigentlich damals war. Er wird sich wahrscheinlich nicht daran erinnern.

1:58 Uhr: Ich schleiche mich extravorsichtig und extraleise ins Bett, versuche niemanden aufzuwecken. Das Kind wacht kurz auf.

Was ich sagen will: Psst. Ein Jahr. Alles Gute.

Lesen Sie hier mehr aus der „Kindskopf“-Kolumne.

Michael Setzer ist vor einem Jahr Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht. Am Sonntag 17.11. (11:30 Uhr) liest Michael Setzer im Stuttgarter Merlin aus den „Kindskopf“-Kolumnen.