Eigentlich Wahnsinn, findet unser Kolumnist Michael Setzer. Wer ein Flugzeug steuern will, braucht einen Führerschein. Aber so ein Kind bekommt man einfach so anvertraut.

Stuttgart - Ich habe nachgeschaut. Mehrmals. Und trotz meines Hanges zur gepflegten Unordnung: dem Kind war tatsächlich keine Gebrauchsanweisung beigelegt. Kein Handbuch, nicht mal eine Service-Hotline, gar nix … und in der Küche liegt das daumendicke Handbuch für ein Fieberthermometer.

 

Eigentlich Wahnsinn. Für jeden Quatsch muss man sich hierzulande die Befähigung bescheinigen lassen: Autos, Flugzeuge, Gehirnchirurgie, Kleingewerbe, großer Hund, Handfeuerwaffen oder Profifußballteam – da darf man nicht ohne weiteres mit hantieren. Erst mal zeigen, dass man‘s kann, ein paar Menschen vom Fach nicken dann zustimmend, Daumen nach oben. Zack. Fertig: beglaubigte Erlaubnis.

Ich hätte zum Beispiel große Lust, mal bei „Trucker Babes“ auf Kabel Eins einen Lkw zu steuern. Das wird aber nichts. Erstens: ich bin kein Babe, und zweitens fehlt mir die amtliche Erlaubnis, ein derart großes Transportmittel zu fahren. Ich darf nicht mal meine Lieblingsbuslinie 42 steuern. „Learning by doing“ ist in dem Metier offensichtlich keine Option. Ein Kind jedoch geben sie einem einfach so mit nach Hause. „Hier, gut aufpassen, viel Spaß. Tschüss. Und: nicht schütteln!“

Gute Tipps sind wichtig

Mir wurde im Vorfeld tatsächlich mehrmals angeraten, ich könne bei Kleinkindern wahnsinnig vieles vorab lernen – wirklich wichtig sei aber nur, bei der Entbindung keine lockeren Sprüche abzusondern und unbedingt am Kopfende des Bettes zu bleiben und später unter keinen Umständen das Kind zu schütteln. Niemals.

Wie ernst das Thema ist, erahnte ich als ich eine städtische Broschüre für junge Eltern in der Hand hielt. Auf der war nochmals laut, deutlich und in Großbuchstaben vermerkt: Nicht schütteln! „Oi! Alles klar!“, sagte ich, obwohl mich niemand hören konnte.

Mit diesem Wissensstand ging vor etwas mehr als fünf Monaten alles los. Babys, Kleinkinder, Säuglinge sind wiederum in der irren Situation, dass sie annähernd alles zum ersten Mal tun. Ein glücklicher Zufall: mir geht’s genauso. Mein Vorteil in diesem Arrangement ist, dass dem Kind die Vergleichswerte fehlen.

Das dreckige Lachen eines Säuglings

Das rückt mich in ein vorteilhafteres Licht, als mir eigentlich zustehen würde. Meine ersten Versuche, dem Kind einen Strampler über den Kopf anzuziehen, waren zum Beispiel erbärmlich. Doch in den hausinternen Kindercharts reichte es mir locker auf einen zweiten Platz.

Es ist ein bisschen als würde man den ganzen Tag Lieder von Andrea Berg hören, weil einen niemand darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass auch andere Leute singen. Weil ich gute Lieder zu schätzen weiß, habe ich mir mittlerweile 34 verschiedene Arten gemerkt, wie ich das Kind zum Lachen bringe. Denn es gibt kein schöneres Lied als das ehrliche dreckige Lachen eines Säuglings.

Schön wär’s!

Ich habe mir auch 29 verschiedene Methoden gemerkt, wie ich den Kleinen beruhige und 135 Möglichkeiten, das Kind bettfertig und müde zu bekommen. Erste Hochrechnung: nichts davon funktioniert. Das Schlaflied und das Comedy-Programm, die mich am Mittwoch noch zum besten Vater der Welt gemacht haben, lassen mich donnerstags wie der größte Stümper dastehen. Dabei weiß jeder: Nur Mario Barth und Arjen Robben kommen immerfort mit dem gleichen Kniff durch.

Dem Kind aber mache ich nichts vor: Wenn der Kleine merkt, dass ich ihn für eine Maschine oder leicht durchschaubar halte, dann stellt der auf stur. „Here we are now, entertain us“, wahrscheinlich hat er heimlich meine Platten gehört.

Auch ziemlich gut in Sachen Problemerkennung oder -Lösung: Zwölf bis 400 Elternratgeber parallel lesen, um mir dann die Lösung auszusuchen, die einigermaßen plausibel klingt. Und um Himmelswillen: Nicht schütteln!

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.