2016 erschien die polnische Bassistin Kinga Glyk auf Youtube und wurde ins Rampenlicht katapultiert. Am Sonntag im Theaterhaus hat sie gezeigt, was sie kann – und wo ihr noch der Glaube fehlt.

Stuttgart - Der elektrische Bass knurrt, singt und erzählt Geschichten, wenn die Polin Kinga Glyk präzise slappt, Skalen fließen lässt, lyrisch zupft. Die 22-Jährige hat sich in die Riege der großen funky Jazz-Bassisten gespielt, sie knüpft an Vorbilder wie Jaco Pastorius und Stanley Clarke an. Und natürlich Marcus Miller, der sie schon zu sich auf die Bühne geholt hat zum Duell auf Augenhöhe.

 

Auch am Sonntag im Stuttgarter Theaterhaus wirkt Glyk wie eine junge Frau, die ihre Berufung lebt. Sie bewegt sich in einer stimmigen Melange aus Fusion-Jazz, Funk und Pop. Das zentrale Thema von „5 Cookies“ erinnert an das Hauptmotiv von Falcos „Der Kommissar“, das seinerseits demjenigen in Rick James’ „Superfreak“ stark ähnelte. Der Rest allerdings ist pure Energie, die polnische Wunder-Bassistin lässt die Finger fliegen und der Geist ist ein ganz anderer: Auf der Albumversion spielt das frankokanadische Keyboard-Wunderkind Anomalie mit, noch so einer aus der Generation Youtube.

Die Besetzung ist zeitgemäß

„Let’s play some funky Groove“ trägt einen selbsterklärenden Titel und klingt und schwingt genau so. Auf einer sphärisch schwebenden Rhythmik strebt „Overdrive“ mit improvisatorischer Macht voran, um in einen hymnischen Chorus zu münden, wie man ihn von Instrumental-Gitarrenhelden wie Joe Satriani kennt. Und immer wieder betört Glyk mit sanften Balladen wie „Silence“, in die sie viel melodisches Gefühl legt.

Sie hat einen exzellenten Schlagzeuger dabei und zwei weitere Mitstreiter, die als Besetzung exakt in die Gegenwart passen: Rechts und links von ihr sitzen zwei Keyboarder mit großer Klangbibliothek. Pawel Tomaszewski, der Glyks aktuelles Album „Feelings“ produziert hat, spielt auf seinem Keyboard Flügel, E-Pianos, Orgeln aller Art und kostet deren Stärken aus. Er ist ein versierter Solist und dosiert den Jazz-Anteil gut, auch am quakenden Moog, der natürlich nicht fehlen darf. Sein Kollege ist zuständig für die Synthesizer, flinke Soli gleißend kreischend, 80er-Jahre-Streicherteppiche fließen und es fiept und klingelt technoid. Die vier sind ein gut abgestimmtes Kollektiv – das allerdings nicht frei spielt, sondern mit Knöpfen im Ohr zu einem zwischendurch hörbaren Playback.

Kinga Glyk spricht viel über Gefühle

So souverän und locker Kinga Glyk am Bass wirkt, so unfertig erscheint ihre Bühnenpersona. Sie trägt den für sie charakteristischen Hut, der gut zu ihr passt, dazu eine Art Abba-Glitzerfummel, der wie Kostümierung wirkt. Glyk hat natürlichen Charme, aber nicht die natürliche Autorität, mit einer Geste einen Saal zum Schweigen zu bringen. So müht sie sich anfangs mit motivierenden Phrasen und der Sorge, die Leute könnten nicht gut drauf sein oder gar müde.

Sie spricht viel über Gefühle, fast beschwörend. „In this room we are family“, behauptet sie, und das klingt doch etwas dick. Und sie neigt sie dazu, sich zu entschuldigen: Sie sei keine Sängerin, trägt dann aber mit schöner Stimme als Mitsingteil den Chorus von Duffys Soul-Hymne „Mercy“ vor, umgedichtet auf „give me more bass“.

Da zeigt sich, dass zur Sorge kein Anlass besteht: Das Stuttgarter Publikum möchte mitmachen und singt lautstark im Chor. Die Stimmung ist prächtig, und als letzte Zugabe spielt die Künstlerin alleine, am Boden sitzend, ihre wunderbare Version von Eric Claptons „Tears in Heaven“, mit der sie 2016 zum Youtube-Star wurde. Da ist sie ganz bei sich und ihrer Kunst. Vielleicht kann sie eines Tages glauben, dass das völlig ausreicht, um geliebt zu werden.