Auch im Alter hat Frankreichs Kinodiva Catherine Deneuve noch große Rollen. In „Der Flohmarkt der Madame Claire“ spielt sie eine leicht demente alte Dame, die sich in einem sehr symbolischen Akt von all ihren Besitztümern trennt.
Stuttgart - Madame Claire Darling tritt aus dem Haus. Ein Sommerkleid mit Blümchendekor schmeichelt ihren Rundungen, ein Strohhut bedeckt das weiß-blonde Haar, eine Zigarette zwischen den rot geschminkten Lippen betont ihre elegante Lässigkeit.
Kein Zweifel: Der Auftritt von Catherine Deneuve als Titelheldin von „Der Flohmarkt von Madame Claire“ hat Stil. Nur die Zerstreutheit des Blicks, mit dem Claire den weitläufigen Hof ihres prachtvollen Anwesens erfasst, irritiert. Drückt er doch eine Art geistige Abwesenheit aus. Als scheine sie nicht zu interessieren, dass am heutigen Sommertag ihr gesamtes Hab und Gut unter den Hammer kommt – für einen symbolischen Preis.
Das Landvolk kann’s nicht fassen
Heute werde ich sterben – mit diesem Gedanken ist Madame Darling, wie die Bewohner des kleinen französischen Dorfs sie nennen, aufgewacht. Ein bisschen nur hat sie sich erschreckt, um gleich darauf zu beschließen: Alles muss weg. Wertvolle Uhren, Familiengemälde, mechanisch betriebenes Spielzeug, Fotoalben, kostbare Möbel, allesamt Begleiter ihres aufregenden Lebens. Kurzentschlossen heuert sie junge Männer an, die an der Bushaltestelle stehen, und lässt sie die Räume ihres Landhauses leeren.
Ein handgeschriebenes Schild lockt Interessenten in großer Zahl. Das Landvolk kann nicht fassen, dass all die bisher verborgenen bourgeoisen Kostbarkeiten nun ihre schlichten Wohnungen schmücken werden. Was auch verborgen war und sich dem Kinobesucher erst langsam erschließt: Madame leidet an einer schleichenden Demenz. Ist der Flohmarkt also die Idee ihres lädierten Gehirns oder der Gedanke leichten Loslassens?
Gegen alle Widerstände
Es ist ein interessantes Sujet mit philosophischer Tiefe, dem sich Julie Bertuccelli und Sophie Fillières mit dem Drehbuch zu diesem Film nähern. Inspiriert wurden sie durch den Roman „Faith Bass Darling’s Last Garage Sale“ der texanischen Journalistin Lynda Rutledge. Thematisiert wird die Frage, wann ein alter Mensch beginnt, seine Autonomie zu verlieren, wie seine Umgebung darauf reagiert und ob er es schafft, Prioritäten in seinen letzten Tagen auch gegen Widerstände zu setzen.
Dass die Antwort von Bertuccelli (die auch Regie führt) und Fillières eher französisch leicht denn teutonisch gründlich ausfällt, sollte man nicht allzu übel nehmen. Alt sein ist beschwerlich, sich von lieb gewordenen Objekten zu trennen, schaffen auch viele Jüngere nicht. Warum also sollte der konsequent durchgesetzte Spleen von Madame Claire sozusagen vorbildhaft nicht auch heitere Momente zeigen?
Mutter und Tochter
Rückblenden, in denen Alice Taglione die Rolle von Claire übernimmt, zeigen das bizarre Leben der einst Verehelichten, die sich auch bei der Wahl ihrer Geliebten nichts vorschreiben ließ. Der Blick in die Vergangenheit erklärt auch das nicht gerade liebevolle Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Dieses universell sehr störungsanfällige Duo pflegt hier ein eher ironisches Verhältnis. Marie (Chiara Mastroianni, mit dem intensiven Blick ihres Vaters Marcello) hat kein Interesse an den alten Objekten. Zu sehr kränkt sie die Erinnerung an ihre Kindheit. Das große Weggeben aller Sachen will sie trotzdem beenden lassen.
Julie Bertuccelli debütierte 2003 mit „Seit Otar fort ist“ und erntete dafür viel Kritikerlob. Ihre aktuelle Regiearbeit lotet die philosophische Tiefe des Themas nicht aus, ersetzt aber diesen Mangel durch einen anderen Blick. So huscht in einer Sequenz ein Mädchenreigen wie wehende Holunderblüten über die Leinwand. Und wenn ein ganzer Zirkus mit Clowns, Tieren und nostalgischen Fahrgeschäften die Szenerie bereichert, wird klar: Das ganze Leben ist ein Zirkus. Er zieht vorbei.
Der Flohmarkt der Madame Claire. Frankreich 2018. Regie: Julie Bertuccelli. Mit Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni. 94 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.