Ein Golden Globe für Christoph Waltz, ein Golden Globe für das beste Drehbuch: Quentin Tarantinos „Django Unchained“ kommt in die Kinos. Der Italo-Western ist eine große Abrechnung – mit der Sklaverei, dem Rassismus und dem glorifizierten Image des amerikanischen Südens à la „Vom Winde verweht“.
Stuttgart - Es ist das Jahr 1858, wir befinden uns „irgendwo in Texas“. Weiße Reiter treiben schwarze Kettensklaven durch einen nächtlichen Wald, als ein seltsames Gefährt heranruckelt. Ein kastenartiger Einspänner, auf dessen Dach ein großer Quacksalber-Werbe-Zahn wackelt und auf dessen Bock ein graubärtiger Grinsekerl hockt und sich vorstellt: „Ich bin Doktor King Schultz, und das ist mein Pferd Fritz.“ Den Zahnarztberuf aber übt dieser aus Deutschland stammende Doktor nicht mehr aus, er arbeitet jetzt als Kopfgeldjäger und ist hinter Männern her, die mal Aufseher einer Plantage waren. King Schultz braucht jemanden, der die Gesuchten identifizieren kann, er schreitet die verängstigte Gruppe der Sklaven ab und findet schließlich einen, der die Männer kennt. Wie er heiße, will Schultz wissen. Und mit gesenktem Kopf und demütig- leise antwortet der Sklave: „Django“.
In seinem neuen Film übernimmt Quentin Tarantino zwar den Namen des 1966 von Sergio Corbucci erfundenen Helden und lässt sogar den Original-„Django“-Song über knallrote Filmtitel fließen. Bei Corbucci allerdings war diese Rächerfigur schon beim ersten Auftritt auf ihrer mythischen Höhe, bei Tarantino dagegen kommt sie von ganz unten und ist zunächst nicht nur physisch, sondern auch psychisch sehr weit weg vom Heldenstatus. Anders gesagt: Im ersten Teil dieser Geschichte steht Jamie Foxx als Django im Schatten des – siehe Text unten – gerade mit einem Golden Globe ausgezeichneten Christoph Waltz als Doktor King Schultz. Wie schon in Tarantinos „Inglourious Basterds“ reißt Waltz auch hier nicht nur genüsslich seine Rolle, sondern den ganzen Film an sich, zelebriert mit spöttisch-arroganter Attitüde seine gebildete Eloquenz, redet etwa diesen übellaunig-dumpfen Sklaventreibern, die ihm Django nicht verkaufen wollen, viele Löcher in den Bauch, bevor er diese dann mit Blei versiegelt.
Thema sind Rassismus und Sklaverei
Diskussion über Sklaverei
Aber es geht bei diesem Doc immer korrekt zu, das Töten geschieht entweder in Notwehr, auch wenn die ein bisschen herbeiprovoziert wird, oder durch per Steckbrief legalisierte Schüsse aus dem Hinterhalt. Man kann den stets seriös im Anzug agierenden King Schultz, der sich gern die Schnurrbartspitzen streicht, durchaus als parodistisch-böse Vorwegnahme jener „legalen“ und nun mit Drohnen ausgeführten Terroristen-Eliminierungen sehen, bei der Legislative und Exekutive in eins fallen.
Aber das wäre nur ein Seitenblick auf diesen Film, der sich im Kern mit einem anderen amerikanischen Thema auseinandersetzt: mit dem Rassismus und der Sklaverei. Dass „Django unchained“ in den USA (zusammen mit Spielbergs Lincoln-Biografie) eine große Diskussion in Gang gebracht hat, mag hierzulande erstaunen, zumindest die Sklaverei schien als Thema allenfalls noch von historischem Interesse. Blickt man aber zurück auf die Kinogeschichte, blickt man vor allem zurück auf Hollywood, dessen Populärerzählungen ja das Amerika-Bild prägen, dann fällt auf, dass dort tatsächlich nur wenige kritische Filme zum Thema produziert wurden.
„Weiße gegen Bezahlung töten?!“
Er hasse die Sklaverei, sagt King Schultz zu dem von ihm befreiten Django, andererseits biete sie ihm aber die Möglichkeit, als Weißer die Bedingungen für eine Kooperation zu diktieren. Django solle ihm eine Zeitlang bei seinen Kopfgeldjagden assistieren, danach werde er mithelfen, die Frau seines neuen Kompagnons zu suchen, die gefoltert, gebrandmarkt und verkauft wurde. „Weiße gegen Bezahlung töten?!“ fragt Django. Doch, das gefällt ihm. Und nun schickt Tarantino sein schwarz-weißes Duo in Saloons, in die Berge oder in Schneelandschaften, zitiert dabei Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ und führt am Lagerfeuer sogar die Siegfried-Sage ein. Djangos Frau (Kerry Washington) hat nämlich bei deutschstämmiger Herrschaft gedient, spricht auch ein bisschen die Sprache – und heißt Broomhilde!
Don Johnson und die Hühner
Überhaupt füllen sich die 165 Minuten dieses Films, wie bei Tarantino üblich, mit viel Exegese-Material an, mit Anspielungen und Zitaten, mit Italo-Western-typischen Zooms, Rückblenden und einem Cameo-Auftritt des Ur-Django Franco Nero, und natürlich auch, von Rock bis Rap, mit vielen Songs. Die Ballade „I got a Name“ ist zu hören, als Django seine neue Rolle annimmt, sich mit Hut und Sonnenbrille ausstattet und nun stolz und sattelfest die erstaunten Rufe genießt: „Ein Nigger auf einem Pferd!“ Das Wort „Nigger“ aber wird er bald nicht mehr unbeantwortet lassen. Auf den Feldern eines Sklavenhalters, den Don Johnson in cremig-weißem-Aufzug als geile Ausgabe des Kentucky-Fried-Chicken-Lächlers Colonel Sanders spielt, sieht man nun in einer Detailaufnahme, wie es rot auf weiße Baumwollblüten spritzt. Und diesmal ist es kein Sklavenblut.
Schwarzer Rächer
Jetzt wird dies auch der Film des Jamie Foxx, jetzt wird dies endlich der Film eines schwarzen Rächers, in dem die Helden der Siebziger-Jahre-Blaxploitation-Filme – also Shaft und Co. –, einerseits wiederauferstehen und andererseits, in einer verqueren Volte, quasi vorweggenommen werden. Denn dieser Django mit dem sprechenden Nachnamen Freeman, der nun mit Doc King Schultz zum großen Finale auf der Südstaaten-Plantage Candieland einreitet, wütet in einer fulminanten (Kino-)Geschichtskorrektur vor allem gegen ein Denkmal an, das immer noch von einem Strahlenkranz umgeben ist: Gegen das legendäre Epos „Vom Winde verweht“.
Auf der nach ihrem grausamen Herrscher Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) benannten Plantage wird nun sozusagen die wahre Geschichte von Tara erzählt. Wenn Tarantino sich in der ersten Hälfte seines sich vom Western zum Southern entwickelnden Films dramaturgisch manchmal verzettelt hat – eine für sich genommen witzig-parodistische Ku-Klux-Klan-Sequenz etwa hemmt doch arg den Erzählfluss – , dann ist der Regisseur nun, in diesem großen, weißen Herrenhaus und quasi in Echtzeit, wieder ganz bei sich. Mit böser Lust malt Tarantino das (Selbst-)Bild des gebildet-kultivierten Südstaatlers um und führt die Fratze eines stutzerhaften „Gentleman“ in Samt und Seide vor, der eine Zigarre hochreckt und vom Sofa aus mit sadistisch lächelnd seine Wettspiele begutachtet, also seinen „Niggern“ zuschaut, wie sie sich bis auf den Tod bekämpfen.
Abgefeimter Verräter seiner Klasse und Rasse
Die schillerndste Figur in diesem gewalttätig-rabiaten und vor keiner Krudität zurückschreckenden Film aber gibt Candies schwarzer Diener Stephen (Samuel L. Jackson) ab, der sich – so wie damals die schwarze Haushälterin Mammy auf Tara – , selbst gegenüber seinem Herrn einiges herausnehmen darf.
Stephen jedoch ist hier keine positive Figur, sondern ein abgefeimter Verräter seiner Klasse und Rasse, er ist das, was später schwarze Revolutionäre wie Malcolm X (der ja auch zwischen Haus- und Feld-„Neger“ unterschieden hat!) verächtlich als „Uncle Tom“-Figur bezeichnet haben. Nein, dem alten Süden wird in „Django unchained“ wirklich nicht nachgetrauert, der wird in zurückeilender Rache den Flammen übergeben.