Mit zwölf Jahren gelang der irischen Schauspielerin Saoirse Ronan der Durchbruch als Schauspielerin im Drama „Abbitte“, zuletzt glänzte sie als Teenager in „Lady Bird“. Nun spielt sie eine zerrissene Frau in der Adaption eines Romans von Ian McEwan.

Stutgart - Wie läuft das eigentlich beim ersten Mal? Florence und Edward haben nicht den blassesten Schimmer. Gerade hat das frisch getraute Paar sein Zimmer in einem englischen Strandhotel bezogen. Angespannt hocken die beiden an einem Tischchen und lassen sich von zwei Kellnern das private Dinner servieren. Dabei hat Edward (Billy Howle) längst Appetit auf etwas anderes. Nachdem er die Kellner mit einem lächerlichen Trinkgeld abgespeist hat, drängt er Florence (Saoirse Ronan) aufs Bett – und manövriert sich damit in den größten Schlamassel seines Lebens.

 

Eigentlich sollte es in der Hochzeitsnacht keine Missverständnisse mehr geben zur Frage, wer was will oder eben nicht. Doch die Protagonisten in Dominic Cookes Verfilmung von Ian McEwans Beziehungsroman „Am Strand“ sind Kinder einer Ära, in der Sex noch eine schambehaftete Angelegenheit war. Es ist eine traurige Geschichte, die Cooke als angestaubtes Kammerspiel mit zahlreichen Rückblenden erzählt. Der Regisseur gibt hier sein Spielfilmdebüt, bisher hat er vor allem an renommierten britischen Bühnen gearbeitet.

Ronan überwindet jede historische Kluft

Vielleicht wirken deshalb manche Szenen statisch und entrückt. Sehenswert ist der Film dennoch. Der Autor Ian McEwan („Saturday“), der an diesem Donnerstag seinen 70. Geburtstag feiert, hat seinen Roman zum Drehbuch umgeschrieben. Billy Howle und Saoirse Ronan vermitteln die inneren Kämpfe ihrer Figuren mit moralischen und sozialen Begrenzungen derartig glaubwürdig, dass sich die historische Kluft im Nu überwinden lässt.

Besonderen Eindruck hinterlässt die 1994 geborene Irin Ronan, die schon 2007 in der Verfilmung eines Ian-McEwan-Romans vor der Kamera stand: Als Zwölfjährige spielte sie in Joe Wrights Drama „Abbitte“ Briony Tallis, ein frühreifes Mädchen mit reger Fantasie, das durch eine Lüge seine Schwester Cecilia (Keira Knightley) und deren Liebhaber Robbie (James McAvoy) ins Unglück stürzt. Damals glänzte Ronan neben ihren erwachsenen Kollegen und heimste Nominierungen für bedeutende Filmpreise ein. Dabei lag das Setting der 30er Jahre weitab vom Erfahrungsraum der Nachwuchsdarstellerin. Die Rolle der Briony Tallis funktioniert jedoch nur unter den historischen Bedingungen, weil sie unterm Einfluss inzwischen überholter Normen agiert. Wie in „Am Strand“ behindern auch in „Abbitte“ Standesunterschiede, Vorurteile und verschämte Sehnsüchte das Zusammenleben der Geschlechter. Dass Saoirse Ronan aber mühelos in die fremden Denk- und Verhaltensweisen dieser gestrigen Figuren schlüpfen kann, bewies sie schon damals.

Auch wagemutige Projekte hat Ronan angepackt

Sie ist historischen, melodramatischen Stoffen treu geblieben. So verkörperte sie im Drama „Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“ eine junge Irin, die 1951 aus perspektivloser Armut in die USA emigriert. Ihre Eilis Lacey ist zerrissen zwischen den strikten Regeln im ländlichen Irland und den Möglichkeiten der Selbstentfaltung im multikulturellen Brooklyn. Obwohl die auf einem Roman von Colm Tóibín fußende Erzählung unter John Crowleys Regie schematisch blieb, gestaltete Saoirse Ronan eine komplexe Persönlichkeit, die sich vom ängstlich-gehorsamen Mädchen zur zupackenden Frau wandelt und sich die Liebe zu einem Italiener nicht von prüden Zeitgenossen madig machen lässt.

Neben solch eher konventionellen Stoffen finden sich in Ronans Arbeitsbiografie auch wagemutige Projekte. In „Lost River“ (2014), dem surreal verschlungenen Regiedebüt des US-Schauspielers Ryan Gosling, spielte Ronan im endzeitlichen Amerika unserer Tage das Mädchen Rat, das sich mit seinem Freund Bones in bizarre Traumwelten flüchtet. Auch in Peter Jacksons esoterisch aufgeladenem Missbrauchsdrama „In meinem Himmel“ (2009) sowie in Neil Jordans Vampirfantasie „Byzantium“ zeigte Ronan ein Faible für düstere, wenig kommerzielle Stoffe. In Ronans jüngstem Coup, dem Teenagerdrama „Lady Bird“ (2017) in der Regie von Greta Gerwig, gibt sie hinreißend einen von Launen und Sehnsüchten getriebenen Wildfang, der mit Lebensentwürfen und besonders mit der ruppigen Mutter hadert. Die Identifikation mit dem überspannten und übermäßig anspruchsvollen Teenager fällt leicht, weil Ronan dessen Gefühlsleben über alle Generationsgrenzen hinweg nachvollziehbar aufschlüsselt.

Florence lernt eine bittere Lektion

In „Am Strand“ führt sie diese Linie konsequent fort und porträtiert eine Frau, die gerade erst das Teenagerdasein hinter sich gelassen hat, sich aber noch nicht als souveräne Erwachsene behaupten kann. In einer bitteren Lektion lernt Florence, dass zwischen keuscher Romantik und ehelicher Verpflichtung Welten liegen. Für Ronan könnten sich durch diese Darbietung neue Chancen ergeben; auf den Fortgang dieser Karriere darf man gespannt sein.