Kinokritik: Bernadette Cate Blanchett gerät in eine Lebenskrise

Die Star-Architektin Bernadette Fox (Cate Blanchett) hat sich in Richard Linklaters Filmdrama „Bernadette“ zurückgezogen ins Familienleben – und es dabei versäumt, sich den Geistern ihrer Vergangenheit zu stellen.
Stuttgart - Einst hat Bernadette Fox von Los Angeles aus bahnbrechende Gebäude gestaltet, nun lebt sie in einer verwilderten Villa in Seattle mit ihrem Mann Elgie (Billy Crudup) und ihrer halbwüchsigen Tochter Bee (Emma Nelson). Sie gibt vor, glücklich zu sein, ist aber völlig außer Kontrolle geraten: Sie hat die Organisation ihres Lebens vollständig an eine Internet-Dienst übertragen, sie nimmt Pillen, und als sie einen übertrieben anmutenden Kleinkrieg mit ihrer Nachbarin Audrey (Kristen Wiig) in die Eskalation treibt, wird auch ihrer Familie klar, dass etwas nicht stimmt – doch Bernadette entzieht sich und sucht Erlösung bei einem Antarktis-Abenteuer.
Richard Linklater ist ein Spezialist für menschliche Beziehungen, seine über Jahrzehnte laufen de „Before Sunrise“-Paar-Trilogie (1995, 2004, 2013) mit Julie Delpy und Ethan Hawke ist ein Unikat. Außerdem kann Linklater sich gut in Familien hineindenken, im über zwölf Jahre hinweg produzierten Langzeitprojekt „Boyhood“ (2014) war eigene Tochter Lorelei in einer Nebenrolle zu sehen. Nun versucht sich der Regisseur an einer Künstlerin, die sich im Leben verirrt, und als Hauptdarstellerin konnte er die stets beeindruckende Cate Blanchett („Der Herr der Ringe“, „Babel“) gewinnen, die sich in Woody Allens „Blue Jasmine“ (2013) für solche Rollen empfohlen hat.
Blanchett und Kristen Wiig passen gut zusammen
Auch hier spreizt und exponiert sie sich ganz wunderbar, Blanchett wird eins mit dieser seltsamen Frau, die mit jeder Pore verströmt, wie mondän und weltläufig sie eigentlich ist und wie deplatziert sie sich in den Suburbs vorkommt – entgegen aller eigenen Beteuerungen. Die US-Comedienne und Schauspielerin Kristen Wiig („Downsizing“) füllt ihre Rolle als spießiges Vorstadtfrauen-Pendant parodistisch aus, Billy Crudup („Alien: Covenant“) ist gut besetzt als achtsamer Ehemann, der sich nicht unterwirft, sondern sich kritisches Nachfragen erlaubt, und die junge Emma Nelson macht ihre Sache gut als bebrilltes Töchterchen mit starkem Charakter.
Das Interessanteste an Bernadette ist ihre Vergangenheit
Das alles passt perfekt ins Kleinstadt-Ambiente am Raden von Seattle. Sobald der Film hinausgeht ins Freie, in die Weite der Antarktis gar, löst sich seine Struktur auf. Das mag so gedacht sein als parallele Verdeutlichung der Auflösung der Hauptfigur, die einige Hindernisse überwindet und nach wie vor starke Auftritte hat, doch nun wird endgültig klar: Das Interessanteste an Bernadette Fox ist ihre glamouröse Vergangenheit – diese aber blitzt nur in kurzen Schlaglichtern auf. Linklater reißt ein großes Drama an um große Ränke und große Egos in der schillernden Sphäre der Star-Architekten, doch er möchte sich nur so weit darauf einlassen, wie es seinem viel kleineren Narrativ dienlich ist. So verharrt der Film letztlich in der Gegenwart, wo die kuschlige Kleinfamilie wirklich alles tun würde, um Mama zu retten.
Man muss diesen Selbstfindungstrip einfach mögen, der Regisseur und seine Darsteller sind einfach sympathisch, doch man wird das Gefühl nicht los: Da wäre noch viel mehr dringewesen.
Bernadette. USA 2019. Regie: Richard Linklater. Mit Cate Blanchett, Billy Crudup. 111 Minuten. Ab 6 Jahren. Von diesem Donnerstag an im Atelier am Bollwerk, Cinema, EM
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