Mitten in der Krise des Jahres 1994 erleben zwei Senioren in Havanna einen zweiten Liebesfrühling – eine Videokamera öffnet ihnen wieder den Blick füreinander in dieser Liebeserklärung an Kuba.

Stuttgart - Wann habe ich aufgehört, Dich anzusehen?“, fragt Victor Hugo seine Frau Candelaria – und da ist längst klar, dass den beiden Senioren ein zweiter Liebesfrühling widerfährt, unverhofft und durch reinen Zufall. Candelaria ist in der Wäscherei, in der sie arbeitet, eine Videokamera in die Hände gefallen, und seitdem Victor Hugo und sie damit herumspielen, erkennen sie einander wieder in einem zwar vertrauten, aber neu entflammten Licht. Und weil es so lang her ist, erschrickt Candelaria furchtbar, als Victor Hugo sie unvermittelt küssen möchte.

 

Hinter dieser Geschichte einer großen Liebe platziert der Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza eine zweite – die einer großen Liebe zu Kuba. Er verlegt die Handlung ins Havanna des Jahres 1994, als der sozialistische Inselstaat in seiner wohl schwersten Krise steckte, aber auf gewisse Weise noch ganz bei sich war. Der Spielfilm „Erdbeer und Schokolade“, erschienen just 1994, zeigt an der schwierigen Freundschaft zweier Männer Schönheit und Verfall gleichermaßen eindringlich.

Die traditionelle kubanische Musik steht in voller Blüte

Hier knüpfen Candelaria und Victor Hugo an. Mit der Sowjetunion hat Fidel Castro seinen wichtigsten Sponsor verloren, Nahrungsmangel und Stromausfälle prägen das Bild. Zugleich steht der Son noch in voller Blüte, die traditionelle kubanische Musik, der Wim Wenders in seinem Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“ (1999) ein Denkmal gesetzt hat. Unabhängig voneinander intonieren die beiden Protagonisten den Evergreen „Dos Gardenias“, und zweimal singen sie gemeinsam auf einer kleinen Bühne zur Musik einer Band.

Zunächst aber zanken sie sich, gefangen im Alltagstrott kleiner Leute, und üben sich in Sarkasmus über die Gesamtsituation. Victor Hugo hustet zu viel und zu heftig, und schon bevor er mit dem Fahrrad stürzt, ahnt man, dass er nicht mehr lange wird Baseball spielen können. Sein einziger Freund baut einen Motor, um mit einem Floß nach Florida zu fliehen. Candelaria zieht Küken in der Wohnung auf, die alle Namen haben, und sie zieht ihren Mann auf wegen seiner kleinen Unzulänglichkeiten.

Dabei gibt es auch kurze Augenblicke der Zärtlichkeit, und das ist die große Kunst des Regisseurs und seiner Darsteller: Man glaubt, dass die beiden noch eine Chance haben und dass erotische Videobilder im Nachthemd oder eine kleine, gespielte Restaurantszene am Esstisch ihren Blick aufeinander verändern können. So überstehen sie die Krise, die auf sie zukommet, als die Kamera mit den Filmen gestohlen wird.

Kubanische Musik, Poesie und Bilder begleiten die Liebenden, kontemplative Momente an der Uferstraße Malecón spiegeln die viel größere Krise im Blick aufs Meer und dessen Leere: Nirgends ist ein Boot zu sehen, denn es könnte ja jemanden in die Freiheit bringen.