Raoul Peck erzählt von Karl Marx und Friedrich Engels und scheitert letztlich an der Mammutaufgabe, die diversen Standpunkte der damals ganz und gar nicht einigen Linken nachvollziehbar darzustellen.

Stuttgart - Der Titel „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe“ klingt so gar nicht nach Kampfblatt. Doch im Deutschland des Jahres 1842 gilt die in Köln publizierte Schrift als staatsfeindlich. Zusammen mit dem demokratischen Linken Arnold Ruge (Hans-Uwe Bauer) verantwortet ein junger Trierer namens Karl Marx (August Diehl) die redaktionellen Inhalte, bis die preußischen Zensoren einschreiten.

 

In Anbetracht der aktuellen politischen Situation in der Türkei, in Russland oder den USA scheint das zeitlich vermeintlich so ferne, von Unterdrückung und Armut geprägte neunzehnte Jahrhundert in Raoul Pecks Biopic „Der junge Karl Marx“ viel gegenwärtiger, als uns lieb sein kann. Der 1953 in Port -au-Prince auf Haiti geborene Peck, der auf der diesjährigen Berlinale neben seinem Marx-Film gleich noch die Doku „I Am Not Your Negro“ über den sozialkritischen afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin vorgestellt hat, versucht den zur Ikone versteinerten Theoretiker Marx vom historischen Sockel zu heben und als zeitgemäßen Denker zu porträtieren. Im Pariser Exil leidet dessen Familie unter chronischem Geldmangel, obwohl Karls Frau Jenny (Vicky Krieps) einer reichen Adelsfamilie entstammt.

Karl lernt den Fabrikantensohn Friedrich Engels (Stefan Konarske) kennen, den er zunächst für einen aufgeblasenen Großbürger hält. Friedrich hat jedoch einen Artikel über die entsetzliche Lage der Arbeiter in den englischen Manufakturen verfasst und sich darüber mit seinem Vater überworfen. In flotten Vignetten umreißt Peck, wie die beiden Freunde mit ihren Ideen die Verhältnisse ändern wollen. Persönlichkeiten wie Michail Bakunin oder Pierre-Joseph Proudhon, die heute nebulös als Vertreter des Anarchismus bekannt sind, in entscheidenden Fragen jedoch unterschiedlicher Auffassung waren, kreuzen dabei ihren Weg.

Das reale Elend bleibt leider außen vor

Die diversen Standpunkte der damals ganz und gar nicht einigen Linken nachvollziehbar darzustellen, ist eine didaktische und erzählerische Mammutaufgabe, an der Peck letztlich scheitert. Marx’ und Engels’ Kerngedanken tauchen im Film bloß als papierene Thesen auf. Um der Geschichte trotzdem Leben und Tempo einzuhauchen, zeigt Peck die beiden Denker deshalb beim exzessiven Zechen, Rauchen und Streiten. Die Flucht vor einer polizeilichen Razzia gerät gar zum Abenteuer zweier neckischer Jungspunde.

Das reale Elend bleibt da leider außen vor. Ebenso der selbst in linken Kreisen populäre Antisemitismus, dem Proudhon und Bakunin anhingen, und der auch den zum Christentum konvertierten Juden Karl Marx traf. Peck, der im Kongo während der ersten Phase nach der Befreiung von Belgiens Kolonialherrschaft aufwuchs, drückt sich da vor einem wichtigen Aspekt. Dass Pecks Versuch, Marx’ und Engels’ soziale Utopie ins Hier und Jetzt zu übertragen, zu brav ausfällt, macht dann auch der durch Bob Dylans „Like a Rolling Stone“ aufwühlend untermalte Abspann inklusive historischer Szenenmontage von der Revolution 1848 bis zum Börsencrash 2008 nicht mehr wett.