Im Kino startet Disneys „Die Schöne und das Biest“ als leichtgewichtiges Realfilm-Musical mit einer sehr netten Emma Watson und ohne jede Absicht, irgendjemanden zu erschrecken. Manche Amerikaner haben sich trotzdem furchtbar empört.

Stuttgart - Auf Facebook erleben die Spruchtafeln von einst, die in Wohnzimmern, Hausfluren und an Klotüren hingen, eine ultrahochbeschleunigte Renaissance. Memes heißen die Bilder mit Sinnsprüchen, die auf die Nutzer herabregnen wie Konfetti bei einer Siegesparade. Einer der ungebetenen Denkanstöße lautet so: „Echte Frauen machen keine Knutschflecke. Sie hinterlassen Kratzspuren.“ Diese auf jede Wurzelbürste zutreffende Definition eines interessanten Partners mag arg schlicht sein, aber in Zusammenhang mit dem schon oft verarbeiteten Märchenmotiv von der Schönen und dem Biest stößt sie uns auf interessante Fragen. Welche Kratzspuren hinterlässt ein zur Bestie verhexter Prinz? Ist die Wildheit neuer Erfahrungen für die Schöne anziehender als das gute Herz des Verwandelten? Küsst sich eine raubtierfellige Monsterfratze viel kitzliger als der Holzfällerbart der vorletzten Hipstermode?

 

Wer nur solch eine Beleuchtung der alten Motive noch reizvoll findet, sollte einen Bogen um Walt Disneys Neuauflage von „Die Schöne und das Biest“ machen. Denn die strebt nach Lieblichkeit, Arglosigkeit und Heiterkeit, will Untertöne vermeiden und bestünde am liebsten nur aus romantischen Blicken, schönen Kostümen und ein klein wenig Grusel ohne Angstpotenzial.

Brav und ohne Abgründe

Dabei ist sie in sich so stimmig, so klar in ihrer Provokationsvermeidung, dass Kritik an ihr absurd würde. Wer die abgründigen und poetischen Seiten von Jean Cocteaus Klassiker „La belle et la bête“ aus dem Jahr 1946 gegen die Bravheit des neuen Films ausspielen würde, stünde da wie der Whiskyexperte, der eine alkoholfreie Erdbeerbowle für den Kindergeburtstag zum schlechtesten Single Malt aller Zeiten erklärt. Da wären dann einfach die Kategorien verrutscht.

Sehen Sie hier den Trailer zu „Die Schöne und das Biest“:

Emma Watson spielt charmant, agil und mit einer entspannten Nehmt-das-alles-nicht-zu-ernst-Ironie Belle, das französische Dorfmädchen, das durch Träume, Gewitztheit und Lektüre aus dem Provinztrott heraussticht. Ihr Vater (Kevin Kline) wird der Gefangene der Bestie in deren verwunschenem Schloss tief im Wald, sie tauscht den Platz mit ihm und wird von der genervten Geisel zur gerührten Erzieherin des sozial verkümmerten Fellbündels.

Wenn Watson in der Auftaktsequenz durchs Dorf schreitet, Bilder und Liedtext ihr Leben erklären, die wichtigsten Figuren vorstellen, auch ihren gockelhaften Freier Gaston (Luke Evans) und dessen Kumpanen LeFou (Josh Gad), bildet zwar wie bei allem Disneys Zeichentrickfilm „Die Schöne und das Biest“ aus dem Jahr 1991 das Vorbild. Trotzdem muss man nun an die Verfilmung des Stephen-Sondheim-Musicals „Into the Woods“ denken, die ähnlich begann. Aber „Into the Woods“ war eine bewusste, schlaue Märchenbrechung, eine in großartige Bewegung versetzte Mythenerforschung, während das von Bill Condon („Inside WikiLeaks“) inszenierte Revuestück bewusst nur das Äußere der Figuren herzeigt, also eher ein geschöntes Selfie der Figuren aus dem Urlaub präsentiert als deren Tagebuch der Krisen und Zweifel.

Die Ultrarechten empören sich trotzdem

Auch wenn Gaston brutal zudringlich wird, einen Lynchmob zum Schloss des armen Biestes hetzt, Belles Vater in eine der grausigen Irrenanstalten voriger Jahrhunderte schleppen lassen will, auch wenn „Die Schöne und das Biest“ also nah dran sein könnte an einer Ära aufgehetzter Meuten und falscher Feindbilder, bleiben diese Bilder bezuglose Zuckerwatte. Die putzig zu Haushaltsgegenständen verhexten Bedienten des Prinzen sowie Alan Menkens glatte Musik bestimmen den heiteren Ton. Um so lehrreicher, dass sich in den USA die Ultrarechten trotzdem empörten, weil Disney mit LeFou einen Schwulen als selbstverständlichen Teil der Märchenwelt zeigt.

Eine Frage allerdings bleibt als Disharmonie zurück: Wie kann sich Belle, nachdem sie sich in das interessante Biest verliebt hat, mit dem rückverwandelten Prinzen (Dan Stevens) zufrieden sein, der deplatziert wirkt wie ein Stück Handseife mit Schleifchen als Tombola-Hauptgewinn?

Die Schöne und das Biest. USA 2017. Regie: Bill Condon. Mit Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Josh, Gad, Hattie Morahan. 130 Minuten. Ab 6 Jahren.