François Ozons Psycho-Erotikthriller provoziert mit ungewöhnlichen Einsichten – und ist bei aller Unverschämtheit doch ein schaurig-schönes Vergnügen.

Stuttgart - Man kann einem Menschen nur vor die Stirn schauen, heißt es. Doch François Ozon, gefeierter Regisseur von Filmen wie „8 Frauen“ oder „Swimming Pool“, gibt in seinem neuen Werk „Der andere Liebhaber“ ungeniert freie Sicht auf das Innenleben seiner Protagonistin Chloé (Marine Vacth). Erst bleibt die Leinwand schwarz, ein leer klaffender Abgrund. Dann rauscht die Kamera aus der Tiefe nach oben und starrt zurück ins Dunkel, das sich allmählich aufhellt. Ein zartes Rosa wird sichtbar. Gerade noch, so erkennt man jetzt, steckte die Kamera im Inneren einer Vagina, eröffnet von gynäkologischen Instrumenten. Als Chloés Ärztin die Klammern entfernt, schließt sich das Rosa wie eine tastempfindliche, fleischfressende Blüte.

 

In der noch immer heiß brodelnden Debatte zu sexuellen Sauereien im Filmgeschäft entfalten solche Bilder eine besondere Wucht. Ist der Blick bis ins letzte Loch der Weiblichkeit nicht unverschämt, verletzend, obszön? Im Fall von „Der andere Liebhaber“ ist er vor allem kühn, konsequent und kein Anlass zur Aufregung.

Es entsteht eine fatale Dreiecksbeziehung

Ozon erzählt mit Lust und Fantasie die Geschichte einer psychologischen Störung. Früher war Chloé als Model erfolgreich, inzwischen ist sie arbeitslos. Ihr körperlicher Allgemeinzustand sei gut, erklärt die Ärztin aus der ersten Szene. Chloés andauernde Bauchschmerzen deutet sie als psychosomatisches Leiden. Beim Analytiker Paul (Jérémie Renier) beginnt Chloé eine Gesprächstherapie. Bald entsteht zwischen den beiden eine enge Bindung, sie werden ein Paar. Krämpfe und Therapie sind nun passé. Doch dann stellt Chloé fest, dass Paul Geheimnisse hat. Über Umwege lernt sie dessen Zwillingsbruder Louis kennen, der ebenfalls als Therapeut praktiziert, im Gegensatz zum sanften Paul jedoch aggressiv und herrschsüchtig auftritt. Der Anfang einer fatalen Dreiecksbeziehung.

Ausschweifend spielt Ozon mit ausgeklügelten Spiegeleffekten in eleganten, doppeldeutigen Bildern. Um äußere Logik schert sich der Film kaum, stattdessen folgt er Chloé in den gefährlich kippelnden Schwebezustand zwischen Realität und Traum. Manchem mag bitter aufstoßen, dass die Figur Chloés wie die unzeitgemäße Blaupause einer freudianischen Hysterikerin wirkt.

Zu ernst darf man die munteren Psychoeskapaden aber nicht nehmen. Es handelt sich vor allem um die freche, temporeiche und verdammt unterhaltsame Variation eines alten Themas. Ein schaurig-schönes Vergnügen.