Zerreißprobe für die Geschwister

Denn wie sehr sie den Krieg ihrer Eltern allen Berliner Hipstergesten zum Trotz noch in den Knochen tragen, wird den Geschwistern ein paar Tage nach der denkwürdigen Fernsehrunde schlagartig klar. Als ihre Mutter plötzlich stirbt, verschlägt es die drei nämlich ungewollt in die ehemalige Heimat, wo sie ihren letzten Wunsch erfüllen und sie neben ihrem Ehemann beerdigen wollen – in einem Dorf im kurdischen Grenzgebiet.

 

Der Roadtrip, den Liya, Alan und Jan daraufhin gegen den Willen ihrer Restfamilie antreten, wird zur doppelten Zerreißprobe. Obwohl man eigentlich gegen einen gemeinsamen Feind kämpft – den fiesen Cousin im roten Pickup, der ihnen durch das halbe Land hinterherreist und sie von ihrem Vorhaben abbringen will – finden die wahren Grabenkämpfe innerhalb des Geschwisterclans statt. Denn zu sagen hat man sich eigentlich seit Jahren nichts mehr. Man lebt ja schließlich in verschiedenen Welten.

Triste, klare Bilder

Zum einen konzentriert sich Yusef so zunehmend auf die innere Entwicklung ihrer Protagonisten. Dabei zeigt sie erstaunlich viel Einfühlungsvermögen und einen Blick für die Tragik kaum sichtbarer Augenblicke: In tristen, klaren Bildern gibt sie ihren Figuren Raum, sich anzuschweigen und einander fremd zu sein – ohne all das gleich in funkensprühende Show-Streitereien ausarten zu lassen. Wenn es zwischen den Geschwistern hingegen mal kracht, dann steckt dahinter so viel Frust, Unverständnis und schmerzhafte Zuneigung, dass man die drei als Zuschauer an die Hand nehmen und langsam aufeinander zuführen will.

Zum anderen bettet die Regisseurin, die für „Haus ohne Dach“ 2016 in Berlin mit dem Nachwuchspreis „First Steps“ ausgezeichnet worden ist, clever Versatzstücke der Weltgeschichte in ihre Narration ein und integriert sie quasi nebenbei in den Mikrokosmos ihrer Figuren. So thematisiert sie zum Beispiel Grenzkontrollen, den Vormarsch des IS in den kurdischen Teil des Irak und religiöse Konflikte als das, was sie für die Einheimischen eben sind: Alltagskatastrophen. Das weitet auf subtile Art und Weise den Blick auf ein Gesamtbild, das für viele ihrer Zuschauer sonst nur aus Fernsehreportagen und abstrakten Zahlen bestehen dürfte.

Haus ohne Dach. Deutschland/Irak/Katar 2016. Regie: Soleen Yusef. Mit Murat Seven, Sasun Sayan, Mina Özlem Sagdic. 117 Minuten. Ab 12 Jahren. Delphi

Zwischen Tradition und Exzess

Eigentlich sind Yusefs Protagonisten nämlich geradezu prototypische Vertreter der Generation Y: Die schöne Liya singt sich mit Vögleinstimme und Selbstverwirklichungsdrang durch die Bars der Hauptstadt, ihr Bruder Alan lässt sich ziel- und planlos durch die Großstadtnächte treiben und feiert den Exzess. Einzig der Älteste fällt aus dem Raster: Jan hält an den strengen Traditionen seiner aus dem kurdischen Teil des Iraks stammenden Familie fest und plant mit seiner Frau Kind, Haus und Zukunft in der Fremde.

Während all das auf den ersten Blick wie die obligatorischen Stellungskriege einer modernen Familie wirkt, offenbart Yusef hier jedoch gleich zu Beginn einen viel tieferen Konflikt: Die ungleichen Geschwister personalisieren auf clevere Art und Weise verschiedene Stadien der Identitätssuche, der sich so viele Migrantenkinder gegenüber sehen: Liya, die Angepasste. Alan, der Verlorene. Jan, der Traditionsbewusste. Drei Menschen, drei Strategien, um mit der Frage umzugehen, wer genau man eigentlich ist. Und die versucht Yusef zu beantworten, indem sie die drei Lebenswelten mit großem Wumms aufeinander prallen lässt.

Zerreißprobe für die Geschwister

Zerreißprobe für die Geschwister

Denn wie sehr sie den Krieg ihrer Eltern allen Berliner Hipstergesten zum Trotz noch in den Knochen tragen, wird den Geschwistern ein paar Tage nach der denkwürdigen Fernsehrunde schlagartig klar. Als ihre Mutter plötzlich stirbt, verschlägt es die drei nämlich ungewollt in die ehemalige Heimat, wo sie ihren letzten Wunsch erfüllen und sie neben ihrem Ehemann beerdigen wollen – in einem Dorf im kurdischen Grenzgebiet.

Der Roadtrip, den Liya, Alan und Jan daraufhin gegen den Willen ihrer Restfamilie antreten, wird zur doppelten Zerreißprobe. Obwohl man eigentlich gegen einen gemeinsamen Feind kämpft – den fiesen Cousin im roten Pickup, der ihnen durch das halbe Land hinterherreist und sie von ihrem Vorhaben abbringen will – finden die wahren Grabenkämpfe innerhalb des Geschwisterclans statt. Denn zu sagen hat man sich eigentlich seit Jahren nichts mehr. Man lebt ja schließlich in verschiedenen Welten.

Triste, klare Bilder

Zum einen konzentriert sich Yusef so zunehmend auf die innere Entwicklung ihrer Protagonisten. Dabei zeigt sie erstaunlich viel Einfühlungsvermögen und einen Blick für die Tragik kaum sichtbarer Augenblicke: In tristen, klaren Bildern gibt sie ihren Figuren Raum, sich anzuschweigen und einander fremd zu sein – ohne all das gleich in funkensprühende Show-Streitereien ausarten zu lassen. Wenn es zwischen den Geschwistern hingegen mal kracht, dann steckt dahinter so viel Frust, Unverständnis und schmerzhafte Zuneigung, dass man die drei als Zuschauer an die Hand nehmen und langsam aufeinander zuführen will.

Zum anderen bettet die Regisseurin, die für „Haus ohne Dach“ 2016 in Berlin mit dem Nachwuchspreis „First Steps“ ausgezeichnet worden ist, clever Versatzstücke der Weltgeschichte in ihre Narration ein und integriert sie quasi nebenbei in den Mikrokosmos ihrer Figuren. So thematisiert sie zum Beispiel Grenzkontrollen, den Vormarsch des IS in den kurdischen Teil des Irak und religiöse Konflikte als das, was sie für die Einheimischen eben sind: Alltagskatastrophen. Das weitet auf subtile Art und Weise den Blick auf ein Gesamtbild, das für viele ihrer Zuschauer sonst nur aus Fernsehreportagen und abstrakten Zahlen bestehen dürfte.

Haus ohne Dach. Deutschland/Irak/Katar 2016. Regie: Soleen Yusef. Mit Murat Seven, Sasun Sayan, Mina Özlem Sagdic. 117 Minuten. Ab 12 Jahren. Delphi