Der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky bricht in seiner Verfilmung von Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“ die chronologische Erzählstruktur der Vorlage auf und findet einen unterhaltsamen Ansatz.

Stuttgart - Wir „Wir drei können ja zusammen Freunde sein: Du, ich und Gott“ sagt der kleine, rotwangige Goldmund, der vom Vater in ein Kloster gesteckt wurde. Der schmale, blasse Narziss nickt etwas zögerlich. Der junge Novize ahnt, dass ihn diese Dreier-Kiste in Schwierigkeiten bringen wird, weil Gott und Goldmund in gleicher Weise seine volle Aufmerksamkeit fordern.

 

Neben „Siddhartha“ und „Steppenwolf“ gehört die 1930 erschienene Erzählung „Narziss und Goldmund“ zu den populärsten Werken des Autors Hermann Hesse. Generationen sinnsuchender Gymnasiasten haben sich mit den Selbstfindungsprozessen der ungleichen Freunde beschäftigt. Nun hat der österreichische Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) den Hesse-Klassiker 90 Jahre nach der Veröffentlichung fürs Kino adaptiert – keine einfache Aufgabe, denn in der Dichotomie seiner Figuren arbeitet Hesse mit kräftigen Typisierungen.

Goldmund steht im Zentrum

Das kann auf der Leinwand zu steifbeinigen Charakteren und didaktischer Behäbigkeit führen. Aber natürlich bietet der Stoff auch cineastische Reize. Das gilt für die klösterliche Welt des Mittelalters – wie beim „Namen der Rose“ – sowie die Odyssee des jungen Goldmund, der sich den weltlichen Genüssen hingibt.

Wie die meisten Filmemacher, die ein klassisches Werk der Literatur einem gegenwärtigen Publikum zugänglich machen wollen, brechen Ruzowitzky und sein Co-Autor Robert Gold („Der Fall Collini“) die chronologische Erzählstruktur der Vorlage auf. Zum narrativen Zentrum wird die Rückkehr Goldmunds (Jannis Niewöhner) ins Kloster, der nach einer Liebelei mit einer Fürstentochter nur knapp mit dem Leben davon gekommen ist. Er ist ein geschundener Mann, der von dem Abt Narziss (Sabin Tambrea) nicht nur klösterliche Kost und Logis, sondern auch den Auftrag bekommt, einen neuen Altar zu schnitzen.

Die Frauen bekommen stärkere Konturen

In den Gesprächen der Freunde fächert der Film mit Rückblenden die gemeinsame Kindheit im Kloster Mariabronn auf und die Reiseabenteuer Goldmunds. „Mehr als in ein Leben passt“ habe er erlebt, sagt Goldmund zu Narziss. Dabei wird ihm zunehmend klarer, dass hinter seinen Experimenten in der Frauenwelt die Suche nach seiner verlorenen Mutter steht. Im Gegensatz zu Hesse, der Frauenfiguren eher als schmachtende Lebenslernhilfen für seinen suchenden Helden entworfen hat, konturiert Ruzowitzky die weiblichen Charaktere im Film stärker. Dadurch erscheint die Herzensbildungsreise Goldmunds auf der Leinwand weniger didaktisch als in der Vorlage.

Auch der schematische Gegensatz zwischen asketischem Klosterwesen und sinnlicher Außenwelt wird hier abgemildert, denn gerade die Szenen in der Abtei überzeugen durch ihre sinnliche Ästhetik: die Choräle der Mönche, die aufsteigenden Weihrauchschwaden, die schweren Gemäuer, die Heiligen- und Kruzifix-Kunstwerke – Ruzowitzky entwickelt ein ausgeprägtes Gespür für die visuellen und atmosphärischen Anziehungskräfte der katholischen Klosterwelt. Deutlicher wird auch die homoerotische Spannkraft der Beziehung zwischen Narziss und Goldmund ausformuliert, die letztlich zu einer Meuterei unter den Mönchen führt, die in Hesses Erzählung nicht vorkommt.

Jannis Niewöhner überzieht

Ruzowitzky findet im Rahmen einer konventionellen Literaturverfilmung durchaus eigene Erzähl- und Interpretationsansätze und stärkt dabei die Unterhaltungseffekte des Stoffes. Einzig die Besetzung von Jannis Niewöhner erweist sich als problematisch: Er spielt den suchenden Goldmund mit allzu großer Selbstgefälligkeit und präsentiert vor der Kamera in vielen Szenen mit freiem Oberkörper seine Trainingserfolge. Vor allem in den dramatischeren Sequenzen neigt er zu Overacting und einem ganz und gar unmittelalterlichen Sprachduktus. Sabin Tambrea hingegen gibt dem tragischen Held Narziss eine überzeugende Empfindsamkeit und spielt die unterdrückten Emotionen seiner Figur differenziert aus. Die schauspielerische Diskrepanz zwischen den beiden Titelfiguren bringt diese beherzte Literaturverfilmung gelegentlich aus der Balance, ohne sie jedoch grundlegend zu schädigen.

Narziss und Goldmund. Deutschland 2020. Regie: Stefan Ruzowitzky. Mit Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, Emilia Schüle. 110 Minuten. Ab 12 Jahren. Atelier am Bollwerk, Cinemaxx SI, Metropol, Gloria, Ufa