Leonardo DiCaprio und Brad Pitt spielen in „Once upon a Time in Hollywood“ zwei in die Jahre gekommene Bewohner der Traumfabrik in einem Film über den Umbruch in den späten 60er Jahre und das Ende der Hippie-Unschuld.

Stuttgart - Rick Dalton, Schauspieler in einer Lebenskrise, erzählt von dem Buch, das er gerade liest. Und während er erzählt, kommt über ihn, was ihm bei Lesen gar nicht aufgefallen war: Die Krise des Romanhelden, der einen heftigen Statusverlust erleidet, ähnelt auf frappierende Weise seiner eigenen. Daltons Augen werden feucht, er muss sich fangen, wiegelt ab. Der Charakterdarsteller Leonardo DiCaprio bietet hier sein ganzes Können auf und fügt seiner an großen Schauspielmomenten reichen Karriere einige weitere hinzu in „Once upon a Time in Hollywood“, dem neunten Spielfilm von Quentin Tarantino.

 

Rick Dalton wird als früherer Star der Westernserie „Bounty Law“ auf der Straße noch erkannt, hat seine besten Jahre aber hinter sich und weint der guten alten Zeit nach. Tarantino hat diese Figur bis ins Detail ausgefeilt, und DiCaprio führt alle Facetten einer durch Liebesentzug gekränkten Filmdiva vor: Dalton übt Dialoge in seinem Pool treibend mit Blick über Los Angeles, er trinkt ständig zuviel und rastet im Wohnwagen aus, wenn er am Set einen Hänger hatte. Aber er lässt als Bösewicht in einer neuen Westernproduktion auch sein ganzes schauspielerisches Können funkeln, ähnlich wie George Clooney in „Hail, Caesar“. Satirisch zollten darin die Coen Brothers der alten Traumfabrik mit all ihren Macken Tribut. Dramatischer nun fällt Tarantinos Liebeserklärung aus, die die TV-Serien der „Bonanza“-Ära einschließt, denn sie ist die Momentaufnahme einer Zeitenwende: Während im Jahr 1969 Bürgerrechtler, Studenten und Hippies die gesellschaftliche Öffnung erkämpfen, löst sich mit den alten Gewissheiten auch das alte Hollywood auf unter seiner Patina aus Glanz und Gloria.

Dalton empfindet sich als Auslaufmodell

Die neue, zeitkritische New Hollywood -Ära personifiziert Tarantino in mystischen Erscheinungen: Der aufstrebende Regisseur Roman Polanski und seine Frau Sharon Tate fahren im Cabrio umher mit wehenden Haaren und Schals. Sie sind neben Dalton eingezogen und verstärken dessen Empfinden, ein Auslaufmodell zu sein. Die Welten berühren sich erst, als aufgeputschte Anhänger des Kommunenführers Charles Manson auftauchen, die am 9. August 1969 tatsächlich Sharon Tate und vier ihrer Freunde ermordeten – und der Hippie-Bewegung über Nacht ihre Unschuld raubten.

Wie Dalton um sich selbst, so kreist um ihn auch sein langjähriger, mit ihm arbeitsloser Stuntman Cliff Booth. Der allein in seiner Traumvilla lebende Schauspieler sichert dem stets loyalen Vasallen ein Auskommen, indem er ihn als Fahrer, Dienstboten und Seelenmülleimer beschäftigt. Eine zwiespältige Spiegelfigur ist dieser Booth, dessen Kriegstrauma wie beiläufig erwähnt wird und der unter dem Verdacht steht, seine Ehefrau ermordet zu haben. Brad Pitt nimmt DiCaprio nie die Sonne und zieht doch die Blicke auf sich, was Tarantino als Teil der Rolle klug angelegt hat. Bravourös führt Pitt vor, wie ein schweigsamer Macho-Prototyp und Schläger, der immer Vollgas fährt, jede Krise so souverän weglächelt, dass man ihm tatsächlich verzeihen möchte. Und wenn er mit muskulösem Oberkörper die Fernsehantenne auf dem Dach des Jammerlappens Dalton richtet, wirkt er wie das Symbol einer verkehrten Welt.

Booth kämpft gegen Bruce Lee

Das Leben ist ein Groschenroman – zumindest in den Filmen des begnadeten Straßenphilosophen Quentin Tarantino. Und wie diese oft belächelte Kulturform versteht es auch der Regisseur meisterhaft, im richtigen Moment die richtigen emotionalen Knöpfe zu drücken. Seit seinem Film „Pulp Fiction“ (1994, auf Deutsch: „Schundliteratur“), der das Kino für immer verändert hat, balanciert Tarantino sicher auf einem schmalen Grat: Er entlarvt spielerisch die Stereotypen und Klischees der Populärkultur, destilliert aus ihren Reizen eine Essenz dessen, was Leben ausmacht, und begibt sich in eine filmkünstlerische Auseinandersetzung.

Während die aus der Zeit fallenden Dinosaurier Dalton und Booth durch das Hollywood des Jahres 1969 treiben, begegnen sie illustren Zeitgenossen: Am Set kommt es zu einem Kampf zwischen Booth und dem aufstrebenden Kung Fu-Star Bruce Lee (Mike Moh), den Tarantino auf etwas dubiose Weise zu entmystifizieren trachtet, auf einer Party beim „Playboy“-Chef Hugh Hefner sinniert Steve McQueen (Damian Lewis) über die Sorgen harter Kerle durch die Emanzipation und Al Pacino ist sehr überzeugend als schmieriger Filmproduzent.

Tarantino führt die magischen Mittel des Kinos vor

Tarantino zeigt die Studios, die Glitzerwelt, die Werbeclips, stilsicher ausgestattet mit passenden Frisuren und Kostümen und wie üblich unterlegt mit einem Soundtrack neuer Ausgrabungen – an Paul Revere and the Raiders hat sich wohl kaum jemand erinnert. Eine Hommage an den Italo-Western gibt es natürlich auch, wie schon der Filmtitel verspricht: Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ hieß im Original „Once upon a Time in the West“. Am Filmset führt Tarantino exemplarisch die magischen Mittel des Kinos vor, etwa kunstvolle Kamerafahrten – vor allem aber die Kunst der Schauspieler.

Der begabten Australierin Margot Robbie allerdings gönnt der Regisseur nur einige wenige, dialogarme Auftritte als Sharon Tate, die vor allem für ihre Rolle in Polanskis „Tanz der Vampire“ in Erinnerung geblieben ist. Sie schwebt als umwerfend schönes Traumwesen durch die Hollywood-Szenerie und ergötzt sich im Kino an ihrem eigenen Auftritt in der Agenten-Klamotte „The Wrecking Crew“ mit dem greisen Dean Martin. Sie auf die Stilikone zu reduzieren, die sie tatsächlich auch war, ist zumindest unglücklich; Tarantino Sexismus zu unterstellen, ginge aber zu weit: So wie sich die Juden in „Inglourious Basterds“ ausgiebig für die Nazigreuel rächen durften und die Afroamerikaner in „Django Unchained“ für die Sklaverei, zeigten es in „Kill Bill“ die Frauen den Männern – und die Manson-Kommune ist bevölkert von frechen, selbstbewussten Hippie-Mädchen, die die Welt der Männerwitze des Jahres 1969 herausfordern.

Das Ende greift zu kurz

Nach 150 Minuten großen Schauspielerkinos, das fesselt, erheitert und ergreift, springt Tarantino ganz am Ende zu kurz: Mit einem Schlag verlässt er die Metaebene, reduziert den historischen Wendepunkt und seine Folgen auf billiges Comic-Niveau und lässt seine Figuren zu Kerlen schrumpfen, die endlich zeigen dürfen, was wirklich in ihnen steckt. Immerhin ist der Gewaltexzess deutlich kürzer als sonst – was ihn nicht zwingender macht. Womöglich hat Tarantino Angst vor der eigenen Kunstfertigkeit bekommen. Bis auf weiteres bleibt das Leben in seinen Filmen ein Groschenroman. Und über weite Strecken sehenswert.

Ab 16, 160 Minuten. Im Cinemaxx City & SI, Delphi (OmU), Gloria und Metropol (D und OmU), Ufa