Nach langem Anlauf und einer Pleite hat das frühere Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam („Brazil“) sein Herzensprojekt doch noch realisiert. In seinem entrückten „Don Quixote“ spiegelt sich der Filmemacher selbst.

Stuttgart - Die berühmte Windmühlen-Szene aus Miguel de Cervantes’ parodistischem Ritterroman „Don Quixote“ (1605) in der Gegenwart originell zu inszenieren, ist eine Herausforderung; das Materialtheater Stuttgart hat diese jüngst gemeistert, indem die Puppenspielerinnen Sigrun Kilger und Annette Scheibler mit kreisenden Armen selbst zu den Windmühlen wurden, die sich über den aussichtslos heranstürmenden Ritter und dessen traurige Gestalt nur wundern.

 

Weit weniger gut läuft es in Terry Gilliams Spielfilm „The Man who killed Don Quixote“ für den fiktiven amerikanischen Filmregisseur Toby, dem die Windmühlenszene eher albern gerät, während ihm sein ganzes Projekt in Spanien logistisch und finanziell um die Ohren zu fliegen droht. Er entzieht sich dem Chaos und fährt mit dem Motorrad in ein nahegelegenes Dorf, in dem er sich einst als Filmstudent dem Thema schon einmal genähert hat – und versinkt in einem bizarren Tagtraum zwischen Schein und Sein. Der Dorfschuster, den Toby damals dazu gedrängt hat, sich als Laiendarsteller in Don Quixote zu verwandeln, ist der Rolle verfallen und hält Toby für seinen abhanden gekommenen Knappen Sancho Pansa. Angelica, die damals minderjährige Tochter des Dorfwirts, die Quixotes Angebetete Dulcinea mimte und dann von einer Schauspielkarriere träumte, hat es nur zur Edelhure gebracht, die nun einem reichen Russen dient. Der von ritterlichen Idealen beseelte Schuster nötigt den zynischen Regisseur, mit ihm durch Spanien zu ziehen und edle Taten zu vollbringen, und während der widerwillige Toby, der echtes Erleben längst verlernt hat, gehörig durch den Schmutz geschleift wird, öffnen sich ihm die Augen.

Gilliams scheiterte im ersten Anlauf

Wie alle Filme Gilliams handelt auch dieser von der Vergeblichkeit menschlichen Strebens, was zuallererst ihn selbst betrifft: Immer waren seine Ideen größer waren als die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Gilliam Filme mit sehr eigener inhaltlicher und visueller Handschrift realisiert. Im Endzeit-Szenario von „Brazil“ (1985) sind die Menschen einem irrwitzigen Überwachungsstaat ausgeliefert, der keine Individualität zulässt, in „12 Monkeys“ (1995) hängen sie in einer Zeitschleife fest, aus der es kein Entrinnen gibt.

Sein lange entwickelter erster Versuch mit „The Man who killed Don Quixote“ im Jahr 2000 wurde nach einer Reihe von Katastrophen zum Versicherungsfall: Erst störte der Lärm einer Nato-Übung mit Kampfjets die Dreharbeiten, dann schwemmten sintflutartige Regenfälle die halbe Ausstattung fort, schließlich konnte der damalige Hauptdarsteller Jean Rochefort wegen Prostataproblemen nicht mehr auf einem Pferd sitzen. Einen Film gab es trotzdem, die Augenzeugen Keith Fulton und Louis Pepe, die eigentlich ein „Making of“ drehen wollten, veröffentlichten unter dem Titel „Lost In La Mancha“ eine minutiöse Dokumentation des Scheiterns. Darin sagt ein Mitglied der Filmcrew über Terry Gilliam: „Er ist selbst Don Quixote, der Träumer, der Idealist.“

Jonathan Pryce brilliert als Don Quixote

Tatsächlich hat Gilliam nicht aufgegeben und nun ein Werk zu Ende gebracht, das sowohl seinem eigenen Anspruch gerecht wird als auch Cervantes. Dessen Quixote ist einer, der zu viele Ritterromane gelesen hat und sich irgendwann in deren hehren Idealen verliert – wie nun der vom Filemachen angefixte Schuster. Jonathan Pryce, der einst in „Brazil“ die Hauptrolle spielte und zuletzt in der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ als Religionsführer brillierte, geht förmlich auf in der Rolle, eine so charismatische, überzeugende Entrückung war im Kino lange nicht zu sehen. Vor allem gelingt es Pryce nach einem gewissen Anlauf, Adam Driver zu überstrahlen, der als Toby zunächst die gesamte Leinwand für sich beansprucht. Driver fällt es offensichtlich schwer, sich zurückzunehmen. Er hat von Natur aus eine starke Präsenz, ob als dichtender Busfahrer in Jim Jarmuschs „Paterson“ oder als cholerischer Darth-Vader-Nachfolger Kylo Ren in der jüngsten „Star Wars“-Trilogie. Doch bald findet er seinen Platz und vollzieht souverän die Läuterung seiner Figur.

Die bislang unbekannte Portugiesin Joana Ribeiro macht aus Angelica eine Anklägerin, die ihre Unschuld verloren haben mag, die zugleich aber mehr Haltung und Würde besitzt, als der degenerierte Toby je aufbringen wird. Stellan Skarsgård spielt einen wunderbar ambivalenten Filmproduzenten, der ernsthaft über Inhalte reden oder zumindest so zu tun kann, letztlich aber auch nur daran interessiert ist, dass das Produkt funktioniert. Ganz selbstverständlich unterwirft er sich dem reichen Geldgeber aus Russland, der in seinem spanischen Palast ein prächtiges, völlig inhaltsleeres Werbespektakel aufführen lässt.

Wo nichts mehr echt ist, triumphiert der schöne Schein

Wo nichts mehr echt ist, triumphiert der schöne Schein – virtuos spielt Gilliam mit Ebenen von Realität und Illusion, von Authentizität und Fälschung, von echtem Erleben und schaler Inszenierung. Wie in einem Fiebertraum bewegen sich die Figuren, immer absurder klaffen die Welten auseinander in Gilliams Kulissenspiel. Er feiert die Kraft und die Ausdrucksmöglichkeiten der Kunstform Film, und er feiert all diejenigen, die es trotz allem noch wagen, Träumer und Idealisten zu bleiben – so verrückt sie dabei auch wirken mögen.