Stephen Frears erzählt von der Liebe der greisen Queen Victoria zu einem indischen Diener – und von den damit verbundenen Schwierigkeiten am englischen Hof.

Stuttgart - Wenn ein Film mit der Feststellung beginnt, dass er „mehr oder weniger auf wahren Begebenheiten beruht“, scheint sogleich ein heiterer Grundton gesetzt. Und der wird hier tatsächlich weitgehend gehalten, auch wenn es in „Victoria & Abdul“ keineswegs immer lustig zugeht. Wie sollte es auch: Schließlich erzählt der Film davon, was ein junger Inder um 1900 am Hofe von Queen Victoria erlebt, zu einer Zeit also, da die Inder von den Briten mehr oder weniger wie Untermenschen behandelt wurden – sie rangierten in der Ständehierarchie noch unter den Mägden.

 

Abdul Karim jedoch, der zu Hause Neuankömmlinge in einem Gefängnis registriert, wird wegen seines guten Aussehens und seiner Körpergröße nach England delegiert, um der Königin eine seltene indische Ehrenmünze zu überreichen. Das soll während eines der unzähligen Essen geschehen, welche die Monarchin über sich ergehen lassen muss. Sie langweilt sich abgrundtief, doch als sich beider Blicke zufällig begegnen, flammt Interesse auf: der Beginn einer wunderbaren, aber unorthodoxen Freundschaft. Kein Wunder, das Victorias Umfeld bald zu intrigieren beginnt.

Ein früher Dialog der Kulturen

Der Regisseur Stephen Frears packt eine ganze Menge in die zwei Stunden Laufzeit seines neuen Films: eine präzise Komödie der Stände und Klassen, aber auch reichlich „Culture Clash“-Spaß und dazu ein Rassismusdrama. Vor allem aber handelt „Victoria & Abdul“ von der Liebe einer großen Einsamen, die physisch unerfüllt bleiben und sich andere, neutrale Wege suchen muss. Nach „Philomena“ arbeitet Frears hier erneut mit Judi Dench zusammen, die 1997 mit dem Film „Ihre Majestät Mrs. Brown“ von John Madden ihren internationalen Durchbruch als Schauspielerin feierte – damals auch schon als Königin Victoria, die sich auf eine ungewöhnliche Beziehung einlässt. Es ist vor allem Denchs Film: Zu sehen, wie sie beim anfänglichen Dinner als eine von der Hohlheit ewiger Etikette zutiefst angeödete Monarchin flink Gang um Gang verschlingt, umgeben von ihrem Hofstaat, ist ein Höhepunkt dieses so sensiblen wie konventionellen Films. Die Steifheit höfischer Riten paraphrasiert er quasi ästhetisch – und unterläuft sie doch immer wieder. Ali Fazal hat als Abdul vor allem schön und zugewandt zu sein, wenn er Victoria bald die indische Kultur und schließlich sogar die Sprache Urdu nahebringt – ein früher Dialog der Kulturen, der ebenso wenig toleriert wird wie die Nähe zwischen Königin und Diener, zumal einem aus Asien.

Zuletzt grundiert dann Wehmut diesen Film. Stephen Frears ist ein großer Frauenregisseur. Wie in seinem Vorgängerfilm „Florence Foster Jenkins“ steht hier ebenfalls eine Frau im fortgeschrittenen Alter im Mittelpunkt. Zu sehen, wie die nunmehr 82-jährige, tragisch erblindende Judi Dench quasi ihren eigenen Tod vorwegnimmt, wenn sie am Ende als Victoria auf dem Sterbebett liegt, fragil, bleich und klein, berührt unmittelbar.