Der österreichische Kabarettist, Autor und Schauspieler Josef Hader widmet sich in seinem Kino-Regiedebüt „Wilde Maus“ seiner Lieblingsklientel: der Mittelschicht. Abstiegsängste sind das Thema, während ein entlassener Musikkritiker sich selbst tragikomisch in den Abgrund manövriert.

Wien - Das ist die Horrorvorstellung der Mittelschicht: Mit über 50 plötzlich arbeitslos zu werden, alles zu verlieren, abzustürzen. Wie das aussehen kann, wenn diese Horrorvorstellung wahr wird, zeigt der österreichische Kabarettist, Autor und Schauspieler Josef Hader in seinem späten Regie-Debüt „Wilde Maus“.

 

Er spielt selbst den renommierten Wiener Musikkritiker Georg, der nach 25 Jahren von seiner Zeitung entlassen wird. Er habe einen alten Vertrag und sei deshalb „zu teuer“, sagt der Chefredakteur (Jörg Hartmann), der gleich die junge, „billigere“ Kollegin (Nora von Waldstätten) ins Konzert schickt, obwohl die von Klassik nichts versteht. Seiner sensiblen Frau (Pia Hierzegger), einer Psychologin mit spätem Kinderwunsch, verheimlicht Georg den Rauswurf – er geht weiter jeden Tag aus dem Haus und schlägt im Wiener Prater die Zeit tot. Dort trifft er einen einfach gestrickten Schulkameraden (Georg Friedrich) wieder, der ihn damals immer verdroschen hat. Bald nimmt ein munteres Chaos aus hirnverbrannte Geschäftsideen und dilettantischen Racheplänen seinen Lauf, an dessen Ende Hader nackt, blutend und mit zerbrochener Brille im Schnee sitzt.

Es weniger drastisch zu als beim Brenner, aber nicht weniger dramatisch.

So sehr dieses Bild dazu verleitet: Man darf Haders erstes Solowerk nicht verwechseln mit Wolfgang Murnbergers Verfilmungen der Brenner-Krimis von Wolf Haas („Silentium“, „Der Knochenmann“). Da spielt Hader bravourös den abgehalfterten Privatdetektiv, der stets in einer schmuddligen Halbwelt-Sphäre agiert, von der das gut situierte Bürgertum wenig ahnt. Nun begibt sich Hader mitten hinein in dieses Bürgertum und durchleuchtet aus der Sicht eines sich selbst allzu sicheren Arroganzlings, was in so einem Milieu gefühltes Scheitern bedeuten und auslösen kann. Da geht es weit weniger drastisch zu als beim Brenner, aber kein bisschen weniger dramatisch.

Haders Handschrift ist unverkennbar: Konsequent lässt er seine Figuren aneinander vorbeireden und -agieren, er spielt mit Erwartungen, Sehnsüchten, Enttäuschungen und unausgesprochenen Konflikten. Georg steht ständig das Unverständnis ins Gesicht geschrieben, dass ihm nicht alle huldigen – und tatsächlich findet er auf seinem Weg in den Abgrund auch Fans, die seine Verrisse lieben. Dem Chefredakteur möchte er es heimzahlen auf dilettantische Art, und der lässt sich ein auf einen kindischen Kleinkrieg unter Männern, der bald Georgs Ehe belastet.

Hader nimmt die Widersprüche saturierter Bürgerlichkeit aufs Korn

Jörg Hartmann gelingt der Spagat, für seinen harten Entscheider Verständnis zu wecken, und Pia Hierzegger als Georgs Frau leidet an ihren Patienten und sich selbst in einem Komplex aus Selbstzweifeln, wie ihn mit Vorliebe Frauen pflegen. Nora von Waldstätten glänzt als nur scheinbar überforderte Nachwuchsjournalistin, deren Loyalität sofort dort endet, wo ihre eigene Karriere beginnt. Dennis Moschitto liefert eine komödiantische Glanzleistung als sensibler Neurotiker. Und im Schutz der müde glitzernden Scheinwelt des Praters erscheint das menschliche Miteinander der Gestrandeten plötzlich ganz einfach mit einem herrlich raunzigen Georg Friedrich, der seinen Berlinale-Bär eigentlich dafür hätte bekommen sollen statt für „Helle Nächte“.

Drehbuch, Regie, Schauspieler – alles kommt auf den Punkt in dieser Ensembleleistung, in der Hader treffsicher, aber weniger böse als auf der Bühne die Widersprüche saturierter Bürgerlichkeit aufs Korn nimmt. Dabei setzt er das Ausmaß der Hysterie des Betroffenen ins Verhältnis: Georg ist ja nicht lebensbedrohlich erkrankt oder verunglückt. Sondern nur gezwungen, sein altes Leben loszulassen und ein neues zu finden.