Tarik Salehs Krimi „Die Nile-Hilton-Affäre“ erinnert an die Schwarzen-Serie-Klassiker nach Romanen von Raymond Chandler und Dashiell Hammett. Aber dieser Kinoneustart erzählt von der düsteren Gegenwart in Ägypten.

Stuttgart - Kommissar Noredin und seinen Kollegen bietet sich in einer luxuriösen Suite des Nile-Hilton-Hotels in Kairo ein schlimmer Anblick. Die Leiche einer jungen Frau liegt nackt und mit zerfetzter Kehle auf dem Fußboden. Ein Lustmord, vermuten die Beamten, so etwas kommt vor, tragische Sache, naja. Während Zartbesaitete hektisch die nächstgelegene Toilette aufsuchen würden, bleiben die Polizisten übers professionelle Maß hinaus gelassen. Einer von Noredins Kollegen ordert einen Krabbencocktail aufs Zimmer, Noredin (Fares Fares aus „Erlösung“) steckt ein paar Scheine ein, die er aus den Sachen der Toten gefischt hat.

 

Die Darstellung polizeilicher Ermittlungspraktiken in Tarik Salehs Thriller „Die Nile-Hilton-Affäre“ zerrt an den Nerven, so zynisch und eiskalt verfahren die Beamten. Dass Gefühle wie Mitleid im Zuge der Aufklärung eher hinderlich sind, steht außer Frage. Aber Saleh zeichnet das Bild eines bedrückend amoralischen, völlig korrupten Polizeiapparates, der auch unbescholtenen Bürgern das Fürchten lehrt. Umso beunruhigender, dass der schwedische Drehbuchautor und Regisseur mit ägyptischen Wurzeln einen realen Kriminalfall verarbeitet, der 2008 die gesamte arabische Welt in Unruhe versetzte.

Ein hartgesottener Knochen

Damals war die libanesische Popsängerin Suzan Tamim in ihrem Apartment in Dubai ermordet worden. Bald wurde ein Verdächtiger gefasst, der sich nach Kairo abgesetzt hatte. Dort vermutete man auch dessen Auftraggeber, Tamims Liebhaber, einen schwer reichen Geschäftsmann, der das freizügige Gebaren der Sängerin nicht ertrug. Weil der Unternehmer Mitglied des ägyptischen Oberhauses war, durfte die Presse nicht offen berichten. Stattdessen schossen Gerüchte ins Kraut.

Diesen heiklen Fall verlegt Tarik Saleh ins Kairo der revolutionären Aufstände, die im Februar 2011 zum Rücktritt des Staatspräsidenten Husni Mubarak führten. Die politische Gemengelage bleibt zunächst jedoch nur atmosphärisches Hintergrundrauschen. Viel stärker beschwört Saleh ein Gesellschaftsbild, das man aus amerikanischen Hard-Boiled-Krimis der dreißiger und vierziger Jahre kennt, das aber erschreckend gegenwärtig erscheint. Den Anti-Polizisten Noredin verkörpert Fares Fares als hartgesottenen Knochen mit gebrochenem Herzen, der seine große Liebe bei einem Unfall verloren hat und sich seitdem im Beruf auf den Straßen Kairos verbrennt. Noredin ist ein zutiefst unglücklicher Charakter, der den Glauben an Gerechtigkeit und moralische Verantwortung verloren hat. Kein Wunder, dass er sich jeden Tag selbst kleinerer Vergehen schuldig macht, seine Kollegen leben es ihm vor.

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Als die Vorgesetzten, unter ihnen Noredins Onkel, den pikanten Fall als Suizid ad acta legen, zwicken Noredin ethische Zweifel. Gina (Hania Amar), eine Freundin der Toten, hat ihm neue Hinweise geliefert und sich dadurch selbst in Gefahr gebracht. Außerdem ist Salwa (Mari Malek), ein im Hilton illegal beschäftigtes Zimmermädchen aus dem Sudan, Zeugin des Mordes geworden, und nun auf der Flucht vor Männern, denen sie als Sicherheitsrisiko gilt. Noredins eigenmächtige Untersuchung führt ihn in die Kreise der ägyptischen Elite, die am Vorabend des arabischen Frühlings erbittert um Vormachtstellung ringt.

Illegale und Sklavenhalter

Eindrucksvoll beschreibt Saleh das soziale Klima, illustriert in staubigen, giftig ausgeleuchteten Nachtbildern die immense Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen dekadentem Luxus und bitterem Elend. Vor allem die Illegalen aus dem Sudan, die als dienstbare Geister nützlich sind, nach getaner Arbeit aber unsichtbar in den Slums verschwinden, erfahren unermessliches Leid. Frauen wie Salwa leben in einer streng hierarchischen Parallelgesellschaft, überwacht von Sklavenhaltern, die an ihnen kräftig verdienen. Und obwohl Gina wie einst ihre ermordete Freundin als geschätzte Sängerin in den oberen Kreisen verkehrt, ist sie wie Salwa eine Gefangene von ihr überlegenen Männern, die ohne Skrupel das Leben einer Frau beenden, wenn diese zu aufmüpfig wird.

Noredin versucht, beiden Frauen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, stürzt sie damit aber tiefer ins Unglück. Die eigene Ohnmacht und Verstrickung in ein Unrechtssystem zu erkennen ist die bitterste Pille, die er auf seiner Odyssee schlucken muss; eine Erkenntnis, die auch den Zuschauer mit Wucht trifft. So hart diese Lektion ist: Tarik Saleh vermittelt sie so spannend, dass man nicht wegsehen kann.

Die Nile-Hilton-Affäre. Schweden, Deutschland, Dänemark 2017. Regie: Tarik Saleh. Mit Fares Fares, Hania Amar, Mari Malek, Yasser Ali Maher. 110 Minuten. Ab 12 Jahren.