Das Biopic über die jungen Jahre des englischen Autors erzählt von Freundschaft und von Liebe – und zeigt anschaulich, wie die Kriegserfahrung Tolkiens Hauptwerk „Der Herr der Ringe“ geprägt hat.

Stuttgart - Im Kino ist alles überlebensgroß, auch die Liebe. Sie gehört zur Magie des Mediums Film, die sie verkörpernden Paare sind ideale Projektionsflächen. Ingrid Bergman und Humphrey Bogart in „Casablanca“, Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in „Titanic“, zuletzt Emma Stone und Ryan Gosling in „La La Land“: Die Macht der Gefühle bringt das Publikum zum Träumen. In der fiktionalen Verfilmung der jungen Jahre des „Herr der Ringe“-Autors J. R. R. Tolkien nun kommt unverhofft ein Kino-Traumpaar hinzu: Nicholas Hoult und Lily Collins umkreisen einander auf wunderbare Weise, und die gegenseitige Anziehung ihrer Figuren speist sich auch aus der gegenseitigen Bewunderung zweier funkelnder Geister.

 

Hoult brillierte in „The Favourite“ als grotesker, androgyner Geck und in der „X-Men“-Reihe als technikbegabter Mutant Hank McCoy, Lily Collins, die Tochter des Popmusikers Phil Collins, in der Miniserie „Les misérables“ als unehelich schwangere Fantine, im Kinodrama „To the Bone“ als magersüchtige Hauptfigur. In „Tolkien“ nun sind beide als Waisenkinder zu sehen, die eine reiche Dame bei sich aufgenommen hat. Hoult spielt den schüchternen Poeten Tolkien, Collins dessen spätere Gattin Edith, die einen sehr freien Geist pflegt für eine junge Frau in der erbarmungslosen gesellschaftlichen Enge und Härte kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Als „eigensinnige und rechthaberische Prinzessin“ bezeichnet Edith sich selbstironisch, und John Ronald Reuel ist hin und weg.

Der Krieg zerreißt den Freundeskreis

Bis die beiden Mittellosen gegen alle Widerstände zueinanderfinden, muss allerdings einiges passieren. Tolkien bekommt ein Stipendium an der Universität Oxford, wo er mit drei Kommilitonen aus besseren Häusern einen eingeschworenen Club junger Intellektueller gründet, denen die Welt zu Füßen zu liegen scheint – bis diese Welt in den Krieg schlittert, der die Studenten in alle Winde zerstreut. Bald irrt der vergeistigte Tolkien mit seiner überbordenden Fantasie durch Schützengräben auf der Suche nach einem seiner Gefährten, während ihm die Kugeln um die Ohren schwirren, Granaten blitzen und Gasschwaden über die zerstörte Landschaft wabern. Beinahe lässt Tolkien sein Leben, während der Krieg zur Allegorie wird, sich vor ihm auftürmt als schwarzes Monster mit feurigen Augenschlitzen – das ihn verschonen, den Freundeskreis aber zerreißen wird.

Dem Regisseur Dome Karukoski gelingt es, den Schmerz nachvollziehbar zu machen, der mit den Verlusten einhergeht – er hat vorher dafür gesorgt, dass das Publikum die Gefallenen gut genug kennengelernt hat, um mittrauern zu können. Übermächtig wird das Gefühl dafür, wie sinnlos die Opfer sind – was für eine Verschwendung gerade erst erblühter Individuen mit großen Lebensentwürfen und Träumen. Die Erfahrung von Tod und Zerstörung, so ist es überliefert, wurde zum bestimmenden Motiv in Tolkiens Hauptwerk „Der Herr der Ringe“, in dem sich Hobbits, Elben, Zwerge und Menschen gegen den Vernichtungsfeldzug des dunklen Magiers Sauron stemmen.

Was wirklich wichtig ist

Umso wichtiger ist das Plädoyer für die Liebe zu den Menschen und zum Leben, zur Kunst und zur Sprache. Eine Diskussion Tolkiens mit seinem Professor über die wirklich wichtigen Dinge des Daseins gehört zu den Höhepunkten dieses Films mit seiner liebevoll gestalteten historischen Kulisse, die nur dann Schwächen offenbart, wenn digitale Ergänzungen wie große Schiffe ins Bild kommen, für die das Geld nicht gereicht hat. Ein anderer, entscheidender Höhepunkt ist eine subtil inszenierte Eifersuchtsszene.

Edith diente Tolkien als Vorbild für die ebenso kluge wie schöne Elbenprinzessin Arwen Abendstern im „Herrn der Ringe“ – eine überlebensgroße Frauengestalt, wie sie nur die Liebe hervorbringen kann.

Tolkien. Großbritannien 2019. Regie: Dome Karukoski. Mit Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney. 112 Minuten. Ab 12 Jahren.