Ein Film, der in den 80ern spielt, zeigt, dass früher nicht alles besser war. Auf der Premiere hört man aber auch: Das Kino hat eine Zukunft – und eine noch größere Vergangenheit.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Die Älteren, die in den 80ern auch mal jünger waren, werden sich erinnern: „Petting statt Pershing“ war ein Spontispruch der Friedensbewegung, als im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses nukleare Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert wurden. Im gleichnamigen Kinofilm geht es mehr um das eine als um das andere beziehungsweise um ein 17-jähriges Mädchen, das in der Provinz des Jahres 1983 verzweifelt auf der Suche nach ersten sexuellen Erfahrungen ist.

 

Intensiv mit der alten Zeit auseinandergesetzt

Eine gewisse Rolle spielt dabei ein smarter Vertretungslehrer, dargestellt von Florian Stetter, der vorgibt, als bewegter Mann für Frieden, Freiheit und die Umwelt in erster Reihe mitzukämpfen. Aber eigentlich will auch er nur sexuelle Erfahrungen sammeln, was ihm mit den Müttern der Schülerinnen recht gut gelingt.

Wer jetzt an eine Komödie denkt, liegt nicht ganz falsch, aber: „Das Komische kommt aus der Tragik“, sagt Drehbuchautorin und Regisseurin Petra Lüschow. Hintergründig gehe es ihr darum, die kleinbürgerliche Enge zu zeigen, die „Doppelbödigkeit einer Gesellschaft, in der immer noch konservative Kräfte wirkten“. Lüschow, Jahrgang 66, hat das alles miterlebt, war im Widerstandscamp in Gorleben und beim gewaltfreien Training im Wendland, sagt aber, der Film sei nicht autobiografisch.

Bei der Hauptdarstellerin versteht sich das von selbst: Anna Hornstein, die auf dem Filmplakat noch Anna Florkowski heißt und inzwischen geheiratet hat, ist Jahrgang 93. Aber sie hat sich intensiv mit der alten Zeit auseinandergesetzt. Was die Regisseurin als „das Politische im Privaten“ bezeichnet, kennt sie auch im Hier und Heute – Stichwort: Fridays for Future. „Das fängt doch schon zu Hause an. Wenn man da nicht aktiv wird, ist es Heuchelei“, sagt Hornstein. Und erzählt, dass in ihrer Familie bei Obst und Gemüse schon lange auf Plastikverpackungen verzichtet werde. Früher wie heute: „Eine Jugendbewegung hat immer auch einen Lifestyle-Aspekt“, sagt Lüschow.

Der Kino-Sommer war nicht schlecht

Peter Erasmus, Jahrgang 53, in dessen Atelier am Bollwerk die Filmpremiere gefeiert wurde, war 1983 bereits Familienvater und sei deswegen nicht mitmarschiert bei den Großdemos. Aber er habe immer schon politisch gedacht und gearbeitet, mit Filmen in Stuttgart seit bald seit 42 Jahren. Derzeit jagt bei ihm eine Veranstaltung die nächste. „Man muss halt mit den Flügeln schlagen“, weiß Erasmus. Und: Dieser Sommer sei gar nicht so schlecht gewesen – wie der vorhergehende. „Arthaus läuft inzwischen besser als Mainstream“, sagt er angesprochen auf eine angebliche Kinokrise durch Netflix & Co. Aber natürlich gibt es sie, die Probleme. Carl Bergengruen, Geschäftsführer der Film- und Mediengesellschaft Baden-Württemberg, kann sie runterbeten: „Große Fernseher, Streamingdienste und das Wetter.“ Dennoch glaube er an das Kino als einen Ort der sozialen Gemeinschaft.

Gäste werden Werbetrommel schlagen

Dafür tut Christoph Ott eine Menge. Er ist der Verleiher des Films und betreibt in Berlin mit dem Kant-Kino eines der ältesten Lichtspielhäuser der Stadt. Dort bietet er tagsüber Mutter-und-Kind-Kino an und an Wochenenden Cocktail-Abende. „Es gibt eine Zukunft fürs Kino“, sagt er, wenngleich er viel aus der großen Vergangenheit erzählen kann: als bei der „Pocahontas“-Premiere im Münchner Olympiapark der mit dem Rolls Royce vorfahrende Rudolph Moshammer zwischen 20 000 Sitzmatten seinen Kinosessel suchte; als für „Air Force One“ in einem Hangar Harrison Ford und Glenn Close eingeflogen wurden; oder als mit dem Schlussbild von „Armageddon“ plangemäß die Leinwand zusammenkrachte und Aerosmith den Filmsong „I don’t want to miss a Thing“ live performten.

Da war die Premiere von „Petting statt Pershing“ ein paar Nummern kleiner. Jetzt geht es darum, dass der Film nach der ersten Woche nicht gleich wieder weg vom Fenster ist. Aber weil unter den Gästen der Comedian Michael Gaedt war, der sich – auch über die eigene Vergangenheit – begeistern konnte, wird die Werbetrommel wohl laut genug geschlagen.