Sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen finden nicht selten im Familien- und Freundeskreis statt. Dafür zu sensibilisieren, haben sich Frauenbeauftragte vom Bodensee zur Aufgabe gemacht. Nach heftigen Protesten haben sie die „Stop Rape!“-Kampagne im Kino vorzeitig gestoppt.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - „Wir haben es echt beide gebraucht“, schildert Ben selbstzufrieden die Szene, als er Hannah auf dem Küchentisch vergewaltigt. Immerhin hatte sie ihn zu sich nach Hause eingeladen, da sei doch klar gewesen, was sie „eigentlich“ von ihm wollte. Ihre Worte „Bitte lass!“ hat er ignoriert. „War schon geil!“, sinniert Ben, woraufhin die Kamera auf die Tränen des regungslosen Opfers gerichtet wird.

 

Die Kinokampagne „Stop Rape!“ mit einem 45-sekündigen Spot sorgt in den sozialen Netzwerken für Aufwallungen. Er wurde erstellt von Studierenden der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), forciert von der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten (LAG) und mit 5000 Euro gefördert vom Sozialministerium, bewilligt noch zu grün-roten Zeiten.

Ausstrahlung gebremst – Diskussion abgesagt

Die am 26. Oktober vor allem in Kinos des südlichen Landesteils angelaufene Kampagne richtet sich insbesondere an junge Männer und soll sensibilisieren für sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen, die allzu oft im Ehe- oder Bekanntenkreis passieren – wie bei Hannah und Ben. Laut der Statistik des Bundeskriminalamtes zur Partnerschaftsgewalt wurden im Vorjahr 2436 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung gezählt, lediglich in 26 Fällen waren Männer die Opfer. Vielfach waren auch ehemalige Partnerschaften betroffen. Die Zahl nicht angezeigter Taten ist demnach wahrscheinlich sehr hoch.

Eigentlich sollte der Kinospot Ende dieser Woche auslaufen, doch wurde er auf Wunsch der Initiatoren schon am vorigen Dienstag nicht mehr gezeigt. Auch bei Facebook und Youtube sowie von der Website der Frauenarbeitsgemeinschaft wurde er entfernt, ist allerdings weiterhin im Internet zu finden. Eine für nächsten Montag geplante Diskussion an der Konstanzer Hochschule wurde abgesagt.

„Die Debatte kreist immer um das Gleiche“, begründet Christa Albrecht, Leiterin der Konstanzer Chancengleichheitsstelle, gegenüber dieser Zeitung den Rückzug. Es sei der Sache nicht dienlich, wenn nur noch darüber geredet werde, dass betroffene Frauen durch den Spot traumatisiert werden könnten – denn dies ist eine Hauptkritik in Hunderten Facebook-Kommentaren, die freilich von einem eher kleinen Personenkreis stammen. „Da braucht man irgendwann nicht mehr zurückzuschreiben“, sagt Albrecht angesichts der Flut von teilweise koordinierten Posts. Albrecht und die Frauenbeauftragte des Bodenseekreises, Veronika Wäscher-Göggerle, hatten die Idee zu dem Projekt und später die LAG dafür gewonnen. Die Frauenbeauftragten konnten wiederum viele Kinos überzeugen, den Spot kostenlos ins Vorprogramm aufzunehmen. Sie selbst habe das Video in der vorigen Woche mit 15 jungen Menschen angeschaut und im Anschluss erfahren, dass eine ernsthafte Diskussion darüber möglich sei, sagt Albrecht.

Als Gewaltverherrlichung kritisiert

Der betreuende Professor Andreas P. Bechtold fand es in einer öffentlichen Stellungnahme zunächst noch „ermutigend“, wie viele Menschen sich zum Spot äußern. Die Kritik versuchte er zu entkräften. „Eine Kampagne, die die Tragweite nicht zeigt, ändert nichts.“ Und eine Kampagne, die Frauen zur Gegenwehr aufruft, gehe an der Realität vorbei. „Wir haben diesen Film nicht gedreht, um den davon betroffenen Frauen eine Wiederholung des Traumas zuzumuten.“ Auch den Vorwurf, dass hier ein Täter – ein gut aussehender Mittzwanziger nämlich – als Identifikationsfigur angeboten werde, unter anderem weil er nicht bestraft werde, kann Bechtold nicht nachvollziehen. Auch üble rassistische Kommentare hatte es anfangs gegeben – nach dem Motto: Deutsche Männer machen so etwas nicht.

Nach den Worten von Christa Albrecht wurden die Studierenden, die das Video im Sommersemester sehr sorgfältig vorbereitet und mit professionellen Schauspielern realisiert hätten, teilweise auch beleidigt – etwa mit der Behauptung, sie hätten einen Porno gedreht und Gewalt verherrlicht. Immerhin: Mit der Diskussion über sexualisierte Gewalt sei man infolge der Aufmerksamkeit „schon vorangekommen“. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenbeauftragten will den Spot nun intern weiter vorführen – auch über den Internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen an diesem Freitag hinaus.