Zum Abschluss der Nachtschicht-Gottesdienste zum Thema „Brückenbauer“ war der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Michael Blume in Obertürkheim zu Gast.

Hass-Mails, Verunglimpfungen, Bedrohungen erfährt Michael Blume täglich am eigenen Leib. Meldungen über rassistische Parolen oder Übergriffe auf jüdische Einrichtungen gehören für den Antisemitismus-Beauftragten des Landes zur Tagesordnung. Dennoch hat der in Filderstadt Geborene seinen Humor und seinen Glauben an das Gute im Menschen nicht verloren. „Man muss gegen Antisemitismus und Rassismus entschieden vorgehen, aber nicht den Menschen bekämpfen“, sagt er am Samstagabend im Nachtschicht-Gottesdienst in der Andreaskirche Obertürkheim.

 

Brückenbauen zu Feinden

In diesem Jahr haben Pfarrer Ralf Vogel und sein Team ihre Gottesdienst-Reihe unter das Motto „Brückenbauer*innen“ gestellt und zum Finale mit Blume eine Persönlichkeit eingeladen, die privat und beruflich immer wieder goldene Brücken zu Gegnern, Neidern und Hassern und über gesellschaftliche Gräben hinweg geschlagen hat und schlägt.

Vor sieben Jahren organisierte er das Sonderkontingent, mit dem 1100 vor allem jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak evakuiert wurden, darunter die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad. Dafür erhielt er im Juli die Otto-Hirsch-Auszeichnung durch die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs und die Stadt Stuttgart. Deswegen ist er aber auch immer wieder das Ziel von Schmähungen und Anfeindungen. „Wie schaffen Sie es dennoch, auf diese Menschen zuzugehen?“ , wollte Vogel von dem Religions- und Politikwissenschaftler wissen. „Man muss entsprechende Handlungen konsequent bekämpfen“, sagte Blume, „aber nicht die Person. Mir gelingt es nicht immer, mein Gegenüber zu lieben, aber es gelingt mir, ihn nicht zu hassen“. Als Wissenschaftler und Christ versuche er, die Beweggründe des Anderen zu verstehen und in einen Dialog mit ihm zu treten. Gleichzeitig bleibt Blume aber auch wehrhaft. So hat er eine einstweilige Verfügung gegen den Kurznachrichtendienst Twitter beantragt. Das Gericht soll klären, wie viel Hetze auf Twitter verbreitet werden darf. Das Urteil werde vermutlich am 14. Dezember gesprochen.

Versuchen, die Beweggründe des Anderen zu verstehen

Direkte Konfrontationen gegenüber Menschen bringe aber meistens wenig. „Antisemiten, Rassisten oder Personen, die menschenverachtende Parolen verbreiten, haben oft Angst, fühlen sich überfordert und suchen deswegen Schuldige.“ Bei entsprechenden Verschwörungstheorien werden oftmals Menschen jüdischen Glaubens als Feindbild genutzt. Er widerspreche dann deren Argumenten, suche aber auch das Gespräch über deren Ängste. Zudem erreiche er über Podcasts, Diskussionen und Veranstaltungen den einen oder anderen scheinbar Unbeweglichen. „Auch wenn es schwerfällt, seine Überzeugung zu ändern, ist es nie zu spät umzukehren“, ruft er den Gegnern zu. „Wir dürfen Menschen nie aufgeben, dass diese die Kurve noch kriegen“, empfiehlt er den Zuhörern in der Kirche.

Doch auch die Christen hätten die Toleranz nicht gepachtet, sondern sie habe sich erst entwickeln müssen, mahnte Blume auf seine humorvoll-sympathische Weise. „Ich habe gehört, in Obertürkheim dürfen sich jetzt sogar Protestanten und Katholiken heiraten“.

Klezmer-Musik als Umrahmung

Zudem sei es wichtig, neue Formate zu riskieren und junge Menschen in die Meinungsbildung einzubeziehen und sie, wie im Nachtschicht-Gottesdienst vorbildlich geschehen, mitwirken zu lassen. So hat Vogels junges Nachtschichtteam den Abend mit seinen Beiträgen über die Liebe zu Feinden begleitet und Klarinettist Markus Kern und Andreaskirchen-Kantor Jakob Reichmann ihm mit einfühlsamen Klezmer-Stücken den richtigen Rahmen gegeben. „Konfrontation muss sein, aber nicht Verachtung. Man muss dem Andersdenkenden mit Respekt begegnen. Feindesliebe könnte die Welt radikal verändern“, gab das Nachtschichtteam den Besuchern mit auf den Weg in den zweiten Adventssonntag.