Die Kirchen erwarten an Heilgabend einen Besucheransturm. Oft sind die Gotteshäuser so voll, dass der Platz nicht ausreicht. Eintrittskarten will man dennoch nicht verteilen.

Untertürkheim - An Weihnachten ist alles ein bisschen anders. Kirchen, in denen sich an normalen Sonntagen nur wenige Besucher einfinden, platzen an Heiligabend aus allen Nähten. In Scharen strömen Besucher in die Gotteshäuser, um gemeinsam die Geburt Jesu zu feiern. Eine kleine Essener Kirchengemeinde beschreitet in diesem Jahr einen ungewöhnlichen Weg: Weil im vergangenen Jahr einige Besucher am 24. Dezember wegen Überfüllung der Kirche oder des Gemeindezentrums abgewiesen werden mussten, verteilt sie jetzt an ihre rund 2900 Mitglieder Eintrittskarten für die Gottesdienste.

 

Auch die Kirchengemeinden in Stuttgart rechnen mit einem Besucheransturm. Auf eine Zutrittsbeschränkung will man dennoch verzichten. Zwar seien die Weihnachtsgottesdienste sehr beliebt, abgewiesen werden müsse aber niemand, heißt es unisono in den Oberen Neckarvororten. „Ich freue mich sehr, wenn wir an Weihnachten wieder volle Kirchen haben“, sagt Friederike Weltzien, Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Obertürkheim. Schon lange würden die Kinder voller Eifer für die Aufführung des Krippenspieles an Heiligabend proben und die Posaunen die Choräle für den großen Gottesdienst um 17 Uhr üben. „Wir heißen alle willkommen, die sich an Weihnachten zurückbesinnen auf die Geburt des kleinen Gottessohnes.“ Tumulte wegen Überfüllung habe es noch nicht gegeben, berichtet Weltzien. Ärgerlicher sei etwas anderes: „Die Enttäuschung, dass nur wenige Menschen die Angebote unserer wöchentlichen Gottesdienste jahrein, jahraus wahrnehmen, will ich nicht verschweigen. Denn jeder Gottesdienst wird mit viel Liebe musikalisch und mit Texten, manchmal mit Bildern oder szenischem Spiel vorbereitet.“

Eintrittskarten schrecken ab

Martin Hug, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Untertürkheim, hält von der Idee, den Zugang zu reglementieren, nicht viel. Grundsätzlich seien alle Menschen zum Gottesdienst eingeladen – und es sei „mutmachend, wenn an Weihnachten alle Gottesdienste gefüllt sind“. Er befürchtet, Eintrittskarten könnten abschreckend sein für jene, „die leider keinen Bezug mehr zur Kirche haben und für die Weihnachten noch der einzige Berührungspunkt ist“. In der Stadt-Wallmergemeinde gibt es an Heiligabend drei Gottesdienste: Um 16 Uhr das Krippenspiel, um 18 Uhr das Christvesper und dann die Christmette. Bisher hätten alle in den angebotenen Gottesdiensten einen Platz gefunden. „Aber es gibt auch am 1. Feiertag und 2. Feiertag Gottesdienste in der Gemeinde und der Gesamtkirchengemeinde. Da verteilt sich der Ansturm etwas.“

Auch in Hedelfingen wird alles bleiben wie bisher, sagt Pfarrer Wilhelm Kautter von der evangelischen Kirche. Er zeigt zwar durchaus Verständnis für die Essener Lösung, könnte sie doch „so manchen Frust vermeiden“. Für seine Gemeinde hingegen komme sie bei den beiden Gottesdiensten um 17 und 22 Uhr nicht infrage. „Da die Kreuzkirche mit zugeschaltetem Saal und Empore 500 Sitzplätze und viele Stehplätze bietet, hat der Platz bisher immer ausgereicht.“ Auch die Alte Kirche biete bei der Christmette genügend Platz.

„Wir mussten noch keine Eintrittskarten im Voraus verteilen, weil wir an Heiligabend drei Gottesdienste um 16, 18 und 22 Uhr in der Michaelskirche anbieten“, berichtet Joachim Wolfer, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Wangen. „Nur beim ersten Gottesdienst reichen uns die Plätze oft nicht, sodass Menschen auch stehen und wir begonnen haben, die Kinder vorne nahe vor dem Krippenspiel auf Teppiche einzuladen.“ Natürlich freue er sich immer über volle Gottesdienste – auch zu anderen Zeiten im Kirchenjahr.

Alle willkommen

Ganz fremd ist Pfarrer Andreas Gälle von der Katholischen Gesamtkirchengemeinde St. Urban die Idee der Essener nicht: „Katholiken kennen dieses Verfahren mit kostenlosen Eintrittskarten ja auch von Papstgottesdiensten im Petersdom in Rom.“ Er nehme an, dass sie gute Gründe für diesen Schritt haben. „Auch Kirchengemeinden sind ja an geltende Brandschutz- und weitere feuerpolizeiliche Bestimmungen und weitere Auflagen gebunden.“ Für die insgesamt acht Gottesdienste in seiner Gemeinde an Heiligabend wird es keine Eintrittskarten geben. Dass Gottesdienstbesucher wegen Überfüllung nicht mehr in die Kirche kamen, hat er jedenfalls noch nicht erlebt. „Wir freuen uns über jeden, der mit uns Gottesdienst feiert und so am Leben unserer Kirchengemeinde teilnimmt. Alle sind willkommen.“