Im Sindelfinger Wald plant die Diözese eine weitere „Raststätte für die Seele“. Werner Koch aus Aidlingen will das verhindern. In der Christopheruskapelle an der Autobahn 6 trifft er auf seine Gegner.

Geislingen - Lastwagen hinter Lastwagen reihen sich auf dem Parkplatz der Autobahn 6 an der Kochertalbrücke. Daneben ein Toilettenhäuschen. Auf einem mannshohen Hügel steht ein Haus, so groß wie eine Sparkassenfiliale. Oben auf dem Dach thront ein Kreuz. Werner Koch steigt aus dem Auto, sein Blick ist mild, das Haar grau, die Füße stecken nackt in Sandalen. „Besuchen Sie die Autobahnkapelle?“, fragt er einen Mann an einem schattigen Picknicktisch und deutet auf das Gebäude über seinem Kopf. Nö, entgegnet der, er warte, bis seine Frau aus der Toilette kommt. Koch zieht die Mundwinkel zu einem Lächeln hoch und steigt die Treppe hinauf zur Kapelle.

 

45 Autobahnkirchen gibt es in Deutschland. Vier stehen in Baden-Württemberg. Im Sindelfinger Wald, direkt an der A 8, soll die fünfte entstehen. Es ist noch nicht klar, ob sie überhaupt gebaut wird. 2,5 Millionen Euro Baukosten stehen im Raum, die aus Kirchensteuern und Spenden zusammen kommen sollen. Die Kirchen und die Diözese Rottenburg-Stuttgart streiten über die Finanzierung und darüber, ob das Vorhaben sinnvoll ist. Aber was soll man schon dagegen haben, wenn eine heilige Stätte, die Kirche, sich zu einem deutschen Heiligtum, der Autobahn, gesellt? Eine ganze Menge, findet Werner Koch aus Aidlingen.

Eine Million Besucher im Jahr

Innen drin summt eine Klimaanlage. Sechs geschwungene Bankreihen. Bunte Fenster, vorne ein Kreuz. Prospekte werben für den Gottesdienst für Lastwagenfahrer am zweiten Dienstag im Monat. Schlicht sieht es aus. Koch tritt an den Altar, wo fünf Teelichter flackern. Die zündet bestimmt der Portier an, wenn er die Kirche am Morgen aufschließt, sagt Koch. „Sonst kommt fast niemand hierher“.

Werner Koch kennt sich aus mit Autobahnkirchen. Seit Jahren sucht er sie auf, macht Fotos von den leeren Bankreihen. Die von den Kirchen behaupteten eine Million Besucher im Jahr bestreitet er. Allein die Autobahnkirchen in Baden-Baden und Adelsried beanspruchen für sich jährlich je 300 000 Besucher. Was hieße, dass die anderen 42 Kirchen etwa zehn Menschen am Tag anfahren. Zudem wäre eine Kapelle im Sindelfinger Wald bloß drei Kilometer von Sindelfingen, 13 Kilometer von Stuttgart entfernt.

Wenn Kirchen Autobahnkapellen bauen, findet Werner Koch, verkennen sie die Zeichen der Zeit. „Die Kirchen werden immer unwichtiger“, sagt er so trocken wie ein Sonntagsprediger. Die vielen Kirchenaustritte gäben ihm Recht.

Wer in die Autobahnkapelle geht

Es vergehen nur wenige Minuten, da betritt eine junge Frau die Kapelle. Sie schaut sich um, tupft zwei Finger in das Weihwasserbecken am Eingang und bekreuzigt sich. Draußen brummt ein Laster. Sie sieht müde aus. Sie sei auf Durchreise, habe zwei Stunden im Stau gestanden, erklärt sie auf Nachfrage. Jetzt braucht sie Unterstützung für einen Geschäftstermin. Werner Koch hört geduldig zu. Dann geht sie. Er sagt: „Die Unterstützung findet sie auch in der Kirche in der Stadt.“

Als Werner Koch jung war, sollte er sich in eine Priesterdynastie einreihen. Das wollten seine Eltern. Sein Vater und sein Opa sind Priester bei der Neuapostolischen Kirche, einer christlichen Religionsgemeinschaft. Manche würden auch Sekte sagen. Er aber entschied sich für eine Technikerlehre. Er kann sich nicht an den einen bestimmten Moment erinnern, als er der Kirche den Rücken kehrte. Aber irgendwann reichte er den Austritt ein.

Er verlor sämtliche Freunde und sah sich als Außenseiter, der wie ein Ausgestoßener von vorne beginnt. Jahre später, als sein Sohn, ein Sozialarbeiter, keinen Job fand, weil viele Stellen im Sozialbereich von kirchlichen Einrichtungen wie der Caritas getragen werden und Bewerber mit Religionszugehörigkeit oft bevorzugt werden, erklärte Werner Koch den Kirchen den Kampf.

„Der Staat muss Privilegien entziehen“

Fast alle fünf Minuten kommen nun Besucher. Ein hochgewachsener Mann mustert lange die Fenster. Eine ältere Frau atmet tief ein, schließt für einen Moment die Augen und geht. Ein Mann mit nacktem Oberkörper bleibt vor der Glastür stehen ohne hineinzukommen.

So viele Menschen hat Werner Koch nicht erwartet. Er wirkt jetzt ein wenig nervös und geht hastig auf die Besucher zu. Er fragt sie, warum sie hierher gekommen seien. Die wenigsten kommen, weil sie Gott suchen. Aber fast alle finden es gut, dass es die Kapelle gibt. Werner Koch findet das schizophren.

Ein Paar mittleren Alters zündet sogar eine Kerze an. Die Frau ist stark geschminkt. Der Mann trägt schwere Goldringe an den Fingern. Die Frau sagt, dass sie jede Kirche besuchen, die sie antreffen. Sie gedenken den Toten und freuen sich über etwas Ruhe. Der Mann erzählt lange, warum er an Gott glaubt. Werner Koch nickt eine Weile, dann verliert er das Interesse, schaut an ihnen vorbei und holt dann selbst aus: „Früher mussten die Menschen an Gott glauben, weil sie vieles nicht wussten. Heute gibt es die Wissenschaft.“ Die beiden schauen sich verdutz an. Das Gespräch wirkt jetzt so, als ob sich Fußballfans über Abseits streiten. Dann muss das Paar weiter. Die Frau zerrt am Mann und sie gehen davon.

„Ich will niemanden missionieren“, sagt Werner Koch. Religion sei Privatsache. Er sagt auch: „Der Staat muss den Kirchen ihre Privilegien entziehen.“ Schließlich seien in Deutschland Staat und Kirche getrennt.

Es wird nicht klar, ob Werner Koch gegen Kirchen vorgeht oder die Menschen, die sie aufsuchen. Er steht noch eine Weile in der Kapelle, dann fährt er.