Das digitale Kamingespräch in der Evangelischen Akademie Bad Boll dient der Vorbereitung auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen.
Bad Boll - Welche Rolle spielen die Kirchen bei den zentralen Herausforderungen unserer Zeit, wie positionieren sie sich zu wichtigen Themen wie Gerechtigkeit und Frieden und welche Chancen liegen dabei in einer multinationalen Ökumene? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das jüngste Kamingespräch der Evangelischen Akademie Bad Boll, das mit mehr als 130 Teilnehmern online stattfand. Da in diesem Jahr zum ersten Mal seit der Gründung im Jahr 1948 die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖKR), in dem 351 Mitgliedskirchen weltweit vertreten sind, in Deutschland stattfindet, war die Tagung in Bad Boll eine Art Einführung und Vorbereitung für an der Ökumene Interessierte.
Es diskutierten die ehemalige Bischöfin und frühere Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Margot Käßmann, der Hamburger Theologieprofessor Fernando Enns, der Politologe und Soziologe Lorenz Narku Laing sowie Oberkirchenrat Marc Witzenbacher, Leiter des Koordinationsbüros des ÖKR. Moderiert wurde die Tagung von Studienleiter Thomas Haas (Bad Boll) und von Pfarrerin Heike Bosien (Stuttgart).
Die Einheit überwiegt die Verschiedenheit
In einem waren sich die Diskussionsteilnehmer einig: Sie freuen sich auf die Veranstaltung des ÖKR im Sommer in Karlsruhe und hoffen auf ein starkes Signal in Richtung Frieden und Gerechtigkeit, denn diese seien essenzielle Merkmale der Ökumene. Die Einheit übersteige die Verschiedenheit. Laing, der Unternehmen und Institutionen bei Vielfaltsprojekten in Richtung Vermeidung von Ausgrenzung und Rassismus hin zu Diversität berät und betreut, wies auf kirchliche Träger in der Welt hin, die ganze soziale Systeme ersetzten.
In Deutschland seien Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber und einerseits ein Ort von Toleranz und Diversität, andererseits aber auch ein Ort von Rassismus. Laing: „Es gibt bei den Kirchen noch viel zu tun.“ Auch Käßmann mahnte an, dass die eigene Geschichte der Kirchen mit Rassismus in den Missionen und während der Kolonialisierung noch nicht aufgearbeitet sei. Enns bekräftigte, man brauche eine „Dekolonisierung“ der Kirchen.
Es geht um Klimawandel, Gerechtigkeit und Frieden
Die Themen Klimawandel, Gerechtigkeit und Frieden beschäftigten zudem nicht nur die Diskussionsteilnehmer, sondern auch die Teilnehmer im Chat. Käßmann wollte die Frage des Klimas als Klimagerechtigkeit aufgefasst und mit der Friedens- und Gerechtigkeitsfrage im Ökonomischen verbunden wissen. „Wo bleiben die großen Initiativen der Kirchen hierzu?“, fragte sie, zumal Christen mit etwa zwei Milliarden ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachten. Auch hier erwarteten die Teilnehmer ein starkes Zeichen in Karlsruhe.
In der Frage von Friedenssicherung sagte Enns, dass der ÖKR etwa zum Ukraine-Russland-Konflikt keine Stellung nehme. Es habe sie schockiert, obwohl Frieden eine Utopie sei, wie stark die Kirchen nationalistisch gebunden seien, sagte Käßmann. Sie verwies beispielsweise auf die die Orthodoxe Kirche in Russland, die sich an Putin orientiere. Sie lehne als Christin jede Form von Legitimation von Krieg ab. Wenn Kirchen Krieg als gerecht legitimierten, müssten sie sich fragen, ob sie noch in der Nachfolge von Christus stünden.
Bewegen. Versöhnen. Vereinen
Lorenz Narku Laing ergänzte, dass Kirchen in den USA Maschinengewehre weihen würden oder sich etwa die Katholische Kirche der staatlichen Rechtsordnung in Teilen verweigere. Hier müsse Kirche auch ihr gegenteiliges Potenzial ausschöpfen, und die ÖKR müsse im Sinne ihres Mottos „Bewegen. Versöhnen. Vereinen“ ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit abgeben. Die beiden großen Kirchen in Deutschland lehnten Waffenexporte ab, sagte Enn. Aber bei Fragen von Ungerechtigkeit könne man nicht neutral sein.