Hedwig Sonntag hat auf den Tag genau vor einem halben Jahrhundert den katholischen Kirchenchor übernommen. Mit der Musik hat die Ökumene schon früh begonnen.

Gerlingen - E s passt auf den Tag genau. Heute vor 50 Jahren hat sie ihren Dienst in Gerlingen begonnen. Seit dem 6. November 1967 ist sie die Chorleiterin. An diesem Montagabend wird sie, wie fast an jedem Montag, mit den 46 Sängerinnen und Sängern ihres katholischen Kirchenchors zusammen proben und singen. Hedwig Sonntag gehört seit einem halben Jahrhundert zur katholischen Kirchengemeinde Sankt Peter und Paul. Sie stemmt einen Teil des kirchenmusikalischen Programms – den Alltag wie das Besondere. Und nebenher redigiert sie das Gemeindeblatt.

 

„Ich komme noch scheinbar frisch rüber“, kokettiert die 71-Jährige, die sich selbst als „nicht besonders ehrenkäsig“ bezeichnet. Aber es tue schon gut, wenn so ein Jubiläum wie ihr Fünfzigjähriges wahrgenommen und gewürdigt werde. „So eine lange Zeit hat kaum einer auf dem Buckel.“

Chorleiterin schon im dritten Semester

Rückblende, 1967. Es war in ihrem dritten Semester an der Musikhochschule, als sie das Gefühl bekam, „ein bisschen Praxis täte mir nicht schaden“. Just zu dieser Zeit, da war sie 21, wurde bekannt, dass ein Kirchenchor in Gerlingen einen Dirigenten suche. Sie habe ihren Professor gefragt, ob er ihr diese Aufgabe zutraue. Seine Antwort: „Mädle, mach’s!“ An Allerheiligen sei sie zum ersten Mal in Sankt Peter und Paul gewesen – und da habe der Pfarrer zu ihrer Überraschung bereits verkündet, dass sich am Montag darauf der Kirchenchor mit seiner neuen Leiterin treffen würde – am 6. November. Heute, 50 Jahre später, ist wieder der 6. November. Hedwig Sonntag streckt die Finger beider Hände aus. „Nicht so oft habe ich gefehlt.“ Mit 25 Mitgliedern habe sie angefangen, und nach jeder Singstunde habe der Pfarrer vorbeigeschaut.

Doch die Chorleitung war nie der Broterwerb von Hedwig Sonntag. Hauptberuflich war sie Musiklehrerin in Stuttgart: 13 Jahre lang am katholischen Gymnasium Sankt Agnes in der Innenstadt, dann bis zum Ruhestand am Neuen Gymnasium in Feuerbach. Sie sei mit ihrer Situation „vollkommen zufrieden“ gewesen, sagt sie, ruhig und ein bisschen zurückgelehnt. Zumal ihr Mann Werner denselben Beruf habe und an einem Gymnasium in Leonberg arbeitete. Er sei heute noch eine Stütze der Männerstimmen im Kirchenchor. „Ich habe immer gerne unterrichtet, der Kirchenchor war ein wunderschöner musikalischer Ausgleich.“ Denn Schulchöre hätten ein ganz anderes Programm als Kirchenchöre.

„Eine beglückende Zusammenarbeit“

Mit ihren katholischen Sängerinnen und Sängern habe sie genau so gut zusammengearbeitet wie bei Projekten mit denen der evangelischen Petrusgemeinde. Schon früh sei im Bereich der Musik die Ökumene praktiziert worden. Eines der besten Beispiele ist nach anderthalbjähriger Probenzeit vor wenigen Tagen abgeschlossen worden: Das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Hedwig Sonntag kennt fast keine Grenzen, wenn sie davon berichtet: Rund 1000 Menschen in der knallvollen Stadthalle („nur vier Karten wurden nicht mehr verkauft“), weit mehr als 100 Chorsängerinnen und -sänger, vier Solisten und rund 50 Musiker von städtischem Kammerorchester, dem Musikverein und dem Bosch-Orchester. „Die Bühne war komplett voll, da hätten keine zehn Leute mehr drauf gepasst.“ „Einfach super“ sei es gewesen, „eine beglückende Zusammenarbeit an einem Werk, das in der Oratorienliteratur ganz oben steht.“

„Wir geben uns ein bisschen Stress, führen aber mit Gerlingern auf, was wir mit Gerlingern machen können“, hatte Hedwig Sonntag 2015 zur Aufführung von Haydns „Schöpfung“ gesagt. Nach „Elias“ unterstreiche sie „das 50 Mal“. Die Gesamtleiterin Beate Zimmermann, Kantorin der Petrusgemeinde, und sie selbst, Pianistin und Leiterin von Teilproben, hätten sich und die Instrumentalisten und Sänger „zwar gefordert, aber nicht überfordert“. „Ich lebe für gemeinsame Gerlinger Projekte.“ Wie die „Carmina Burana“ zum Stadtjubiläum im Jahr 2008. Es sei „extrem befriedigend, wenn man Kräfte zusammenlegen und einen Knaller machen kann“.

Der Alltag bedeutet viel

Bei all den Highlights bedeutet ihr der Alltag sehr viel. Sie freue sich auch über ein einfaches Kirchenlied. „,Großer Gott, wir loben dich’ – ist doch wunderbar.“ Die Kirchenmusik als Art der Verkündigung sei ihr wichtig, nicht nur wegen ihrer Herkunft aus einer katholischen Familie. Die Reformation habe der Kirchenmusik einen riesigen Schub gegeben, „die ersten deutschen Gesangbücher auch für Katholiken erschienen im gleichen Jahrhundert“.

Eines fällt auf: Während des Gesprächs benutzt Hedwig Sonntag häufig die Vergangenheitsform. Bedeutet das etwas? „Das nächste Jahr habe ich mit meiner Kollegin Cornelia Karle noch komplett geplant. Aber ich gehe nicht Knall auf Fall. Wir sorgen für einen guten Übergang.“ Es wird schon noch eine Weile mit Sonntag gesungen. Nicht nur am Montag.

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