Zehntausende haben am Mittwochabend bei Gottesdiensten die Eröffnung des Stuttgarter Kirchentages gefeiert. Dabei gab es viele moralische Appelle und den ein oder anderen Scherz.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Unter strahlend blauem Himmel haben Zehntausende Christen in Stuttgart bei Gottesdiensten die Eröffnung des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags gefeiert. Auf dem Schlossplatz forderte der Kirchentagspräsident Andreas Barner zum verstärkten Engagement für Flüchtlinge auf. „Wir sollten mit weitem Herzen denen helfen, die vor Krieg, Diktatur und Gewalt fliehen“, sagte er. Rund 80.000 Menschen nahmen an den stimmungsvollen Gottesdiensten mit viel Musik und künstlerischer Gestaltung – etwa durch den Vertikaltuchkünstler Carismo – unter freiem Himmel teil.

 

Der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July würzte seine Predigt beim Hauptgottesdienst vor dem Schloss mit etwas Humor, indem er für das von weiter weg angereiste Publikum den Begriff Cleverle übersetzte und dabei hinzufügte, darunter seien auch Leute, die besonders gut seien im Besserwissen. Im Blick auf die Losung des Protestantentreffens „damit wir klug werden“ betonte der Theologe, dass es darum gehe, Herzensweisheit zu erlangen und im Bewusstsein der Endlichkeit der eigenen Person zu leben. Er prangerte das Elend der Flüchtlinge auf der Welt an und kritisierte, dass in der öffentlichen Kommunikation und in den sozialen Netzwerken die Menschen zum Teil gnadenlos übereinander herfielen und dem Anderen keine Würde mehr zuerkennen würden. Der Bischof beklagte außerdem, dass weltweit Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt würden. Das Recht auf Religionsfreiheit scheine mancherorts nur auf dem Papier zu stehen.

Gauck spricht vom „Festival des Ehrenamts“

Zudem forderte July, kluge Weg zu finden, wie Langzeitarbeitslosen, Behinderten oder Flüchtlingen mehr Teilhabe ermöglicht werde. Bundespräsident Joachim Gauck lobte das Protestantentreffen als wichtiges Begegnungsforum. Staat und Gesellschaft hätten etwas davon, dass sich Menschen in diesem Rahmen inspirieren und aktivieren ließen. Der Kirchentag sei auch ein „Motivationstraining“, für alle, die sich mit den großen Problemen der Welt nicht abfinden wollten. Mit einem Augenzwinkern sagte Gauck, der Kirchentag in Stuttgart ermögliche zudem die Begegnung von „Schwaben und der Restmenschheit“. Außerdem nannte das Staatsoberhaupt das Großereignis ein „Festival des Ehrenamtes“. Den vielen freiwilligen Helfern rief Gauck zu: „Unser Land ist schön, weil ihr es schön macht.“ Ebenso freundliche Worte spendete der katholische Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst. Die Stadt werde in den kommenden Tagen aufgehellt vom lebensfreundlichen christlichen Geist.

Kuhn wirbt für den Stuttgarter Einzelhandel

„Es ist Kirchentag, und das ist gut so“, betonte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Politik und Gesellschaft brauchten die Kirchen, sagte der Grünenpolitiker mit Blick auf Fragen der Gerechtigkeit und des Friedens. „Es braucht Menschen, die an etwas glauben, die sich für Werte und Ideale einsetzen.“ Er mahnte, nicht nur zu klagen, sondern anzupacken und zu gestalten. Ebenso verlangte der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn eine Klugheit, die sich am Gemeinwohl orientiere. Die Begrüßung der Kirchentagsgäste schloss er mit einem Scherz ab. Die Stadt habe für schönes Wetter gesorgt, in den nächsten Tagen werde es aber noch heißer. So sollten sich die Gäste Kopfbedeckungen zum Schutz vor der Sonne besorgen – Kopftücher, Mützen, Hüte. Die könnten sie auch bei den Stuttgarter Einzelhändlern erwerben.