Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler kritisiert beim Kirchentag die Wachstumsforderungen der G7-Gipfelteilnehmer von Elmau – und fordert eine weltweite Kohlendioxid-Steuer.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Horst Köhler fällt in die Kategorie der zornigen alten Männer. Mit zunehmendem Lebensalter und wachsendem Abstand zu öffentlichen Ämtern urteilt der 72-jährige frühere Bundespräsident nicht etwa milder über das politische Geschehen, sondern spürbar ungehalten.

 

Wenn er beispielsweise das Treiben der Staats- und Regierungschefs in den Blick nimmt, die sich als G7 im bayrischen Elmau treffen, dann kann er sich über deren Drängen auf möglichst hohe Wachstumsraten allerorten richtig echauffieren. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt Köhler, der als Chef des Internationalen Währungsfonds IWF einst selbst an Verhandlungstischen wie in Elmau gesessen hat, an denen über das Schicksal der Welt entschieden wird.

Wenn nicht nur die ärmeren Länder, sondern auch die hoch entwickelten Volkswirtschaften fortgesetzt mit Raten von mehr als drei Prozent wachsen würden, dann werde das einen Planeten endgültig ruinieren, der schon jetzt „an vielen Stellen extrem geschädigt ist“. Köhler empfiehlt stattdessen beispielhaft für Deutschland ein deutlich geringeres Wachstum von etwa einem Prozent, das allerdings nachhaltig zu erwirtschaften sei. So könnten „wir unter anderem Raum schaffen für Wachstum in Afrika“.

Wieviel Wirtschaftswachstum ist angemessen?

Köhler diskutierte am Samstagnachmittag mit Kirchentagspräsident Andreas Barner über kluges Wirtschaften. Und Manager Barner, der das Unternehmen Boehringer Ingelheim führt, stimmte mit dem Ex-Bundespräsidenten in vielen Punkten überein – von den Gefahren des ungebremsten Klimawandels über die Modellhaftigkeit einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft bis hin zu der Überzeugung, dass es globaler Übereinkünfte bedarf, um zu einer gerechteren und umweltschonenderen Weltwirtschaft zu kommen.

Allerdings erlaubte sich Barner, um Verständnis für die aktiven Politiker zu werben. Wer als Regierungschef mit einer Jugendarbeitslosigkeit bis zu fünfzig Prozent zu kämpfen habe, der setze auf Wachstum – denn das sei „im Moment das einzig bekannte Gegenmittel“.

„Die Erzeugung von CO2 muss viel teurer werden“

Der zornige Köhler ließ sich davon nicht bremsen. So empfahl er neben einer Finanztransaktionssteuer auch eine Kohlendioxidsteuer, um mehr Ordnung in die globalisierte Welt zu bringen. „Die Erzeugung von CO2 muss viel teurer werden“, sagte er. Solche Emissionen müssten einen Preis bekommen, der jenen Gefahren entspreche, den sie für das Weltklima hervorriefen. Die Politiker müssten dabei mutiger vorangehen und auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen – „bis dahin, dass man aus dem Amt herausgewählt wird“.

Nicht minder entschieden sprach sich Köhler dafür aus, Regeln für die Insolvenz von Staaten zu entwickeln – damit es nicht wie bisher zu den oft chaotischen Zuständen im Falle einer Staatspleite komme. Der IWF habe Anfang des Jahrtausends die Entwicklung eines solchen Insolvenzrechts weit vorangetrieben. „Das ist dann kaputtgemacht worden, weil die ganze G7 dagegen war“, sagte Köhler. Denn im Hintergrund hätten die großen Privatakteure der Finanzmärkte Druck auf die Politik gemacht, weil sie kein Geld verlieren wollten.

Im Falle Griechenlands könne man die Folgen besichtigen: die privaten Gläubiger hätten sich inzwischen herausgezogen, und fast die ganze Last liege nun bei staatlichen Gläubigern – also am Ende bei den Steuerzahlern. „Dieses Verfahren will ich nicht“, zürnte Köhler. „Das ist eine Schweinerei.“

Andreas Barner konnte der Idee eines Insolvenzrechts für Staaten viel abgewinnen. Auch bei der generellen Frage, wann ein Schuldenerlass Sinn macht, war er sich mit Köhler schnell einig: beide halten ihn nur dann für richtig, wenn er mit der Auflage verbunden ist, dass der betroffene Staat anschließend seine Politik so ändert, dass es nicht zu einer neuen Überschuldung kommt. Es blieb allerdings dem Manager überlassen, auf die konkreten Folgen solcher Schuldenschnitte hinzuweisen: „Da müssen wir als Deutsche dann auch bereit sein, einen Teil der Schulden zu übernehmen.“