Viele Menschen interessieren sich nicht mehr dafür, was in der evangelischen Kirche passiert. Auch viele derjenigen, die noch Mitglieder sind, verweigern die Wahl. Das sei ein Fehler, meint Synodalmitglied Angelika Herrmann. Aber warum?

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Ludwigsburg - Angelika Herrmann sitzt an einem kleinen, runden Konferenztisch im hellen, freundlichen Büro am Ludwigsburger Marktplatz. Draußen werden gerade die Stände des Weihnachtsmarkts aufgebaut. Hermanns Büro ist topmodern. Kunst an den Wänden, Kaffeemaschine, am Laptop kann man stehen, um den Rücken zu schonen. Nichts deutet darauf hin, dass die 60-Jährige für eine kirchliche Einrichtung arbeitet. Außer vielleicht der selbst gemachte Adventskalender.

 

Verknöchert, undemokratisch, lebensfremd – eben überhaupt nicht modern. So stellen sich viele Menschen heute die Kirche vor. Trifft das denn zu? Herrmann schüttelt mit dem Kopf. „Viele interessiert es einfach nicht, was die Kirche leistet“, sagt die Diplom-Finanzwirtin. Pflege, Betreuung, Beratungs- und Flüchtlingsarbeit, zählt sie auf. Davon hätten auch viele Kirchenmitglieder keine Ahnung.

Alle sechs Jahre wird gewählt

„Aber wenn Entscheidungen getroffen werden, die ihnen nicht passen, treten sie gleich aus.“ Die Ehe für alle und der Umgang der Kirche mit gleichgeschlechtlichen Paaren sei ein gutes Beispiel gewesen. Die evangelische Landeskirche konnte sich nicht dazu durchringen, gleichgeschlechtliche Paare mit heterosexuellen gleichzustellen. Lesben und Schwule können sich in einem Gottesdienst mittlerweile zwar den kirchlichen Segen holen, der Bund fürs Leben wird aber nicht vor Gott geschlossen. Für viele Schwule und Lesben ein Grund, der Kirche den Rücken zu kehren. Dabei hätten sie dafür sorgen können, dass es anders kommt.

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Alle sechs Jahre sind die Protestanten im Land aufgerufen, die Mitglieder der Landessynode, die gesetzgebende Versammlung der evangelischen Landeskirche, direkt zu wählen. Die Synode kommt in der Regel dreimal pro Jahr zu einer Sitzung zusammen. Wenn die Mitglieder an langen Tischreihen vor ihren Laptops sitzen und per Stimmkärtchen Beschlüsse fassen, kommt man nicht umhin, an den Politikbetrieb zu denken. Die Parallele treffe zu, sagt Herrmann.

Viel Arbeit, kaum Entschädigung – und keine Anerkennung

Eigentlich ist die Aspergerin katholisch, wurde gefirmt. Erst mit 40 Jahren wechselte sie die Konfession. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie sich zuvor schon in der evangelischen Jugendarbeit engagiert, später im CVJM. In ihrer Kirchengemeinde in Neckarweihingen arbeitete sie lange als Gemeinderätin. „Ich wollte gerne noch ein bisschen mehr Einfluss“, sagt Herrmann. Und den bekam sie in der Landessynode. Mit dem Gemeinderat können viele noch etwas anfangen. Aber die Landessynode? „Was macht die schon?“, würden viele Fragen. Jede Menge, antwortet Angelika Herrmann.

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Sogar so viel, dass es ihr nun reicht mit dem Engagement. Sie kandidiert nicht für eine zweite Amtszeit. „Es ist im Endeffekt eine Zeitfrage“, sagt Herrmann. 30 Tage im Jahr müsse man für Ausschüsse und die Sitzungen einplanen. Und die Arbeit ist anspruchsvoll. In elf Ausschüssen beraten bis zu 105 Mitglieder vom Kirchenhaushalt über Bauprojekte auf Grundstücken der Kirche und bis hin zu Materialien für den Religionsunterricht alle Themen, die die Kirche berühren, außerdem wählt die Synode den Landesbischof.

„Da kommt man abends Heim und hat noch einen Stapel Papier auf dem Tisch, den man durcharbeitet“, sagt Herrmann. Sie hat es gern gemacht, weil sie mitreden wollte in den Ausschüssen. „Sonst hätte ich die Arbeit auch bleiben lassen können“, sagt sie. Als stellvertretende Geschäftsführerin der Diakonie in Ludwigsburg sei sie zumindest mit den Strukturen innerhalb der evangelischen Kirche vertraut gewesen. Das half bei der Arbeit.

2013 ging nur jeder Fünfte wählen

Aber längst nicht alle haben diesen beruflichen Hintergrund. Zwei Drittel der Synode sind Laien. Neben Theologen bestimmen auch Vermessungsingenieure und Landschaftsgärtnerinnen darüber, wohin die Kirche steuert. Und die Positionen der Parteien – in der Synode heißen sie Gesprächskreise – unterscheiden sich fundamental. Momentan hat die Lebendige Gemeinde (43 Sitze), die eher konservative Ideen vertritt und sich am geschriebenen Wort in der Bibel orientiert, die Mehrheit. Angelika Herrmann wünscht sich zwar, dass ihre Offene Kirche (32), die versucht, gesellschaftliche Strömungen in die Kirche zu tragen, bei der nächsten Wahl ein paar Sitze hinzu gewinnt. Vor allem wünscht sie sich aber eine höhere Wahlbeteiligung als vor sechs Jahren. Damals schickten gerade einmal 20 Prozent der Wahlberechtigten die Unterlagen zurück. „Die, die auch dieses Mal nicht wählen, müssen dann halt akzeptieren, wenn wieder Entscheidungen getroffen werden, die ihnen nicht passen“, sagt Herrmann.