In Kirchheim soll eine Bretterwand die Autofahrer vor sich selbst schützen. Mit der ungewöhnlichen Konstruktion will die Stadt den Unfallschwerpunkt an der Notzinger Steige entschärfen.

Kirchheim - Autofahrer in Kirchheim, die sich, auf der Notzinger Steige fahrend, vor dem Abbiegen in den Wangerhaldenweg vergewissern wollen, ob von links kein Auto kommt, haben seit ein paar Tagen ein Brett vor dem Kopf. Auf der kleinen Verkehrsinsel, die die viel befahrene Straße an der Einmündung teilt, hat der Bauhof der Stadt Kirchheim eine im wahrsten Sinne des Wortes unübersehbare Bretterwand errichtet.

 

Die vier Meter breite und zwei Meter hohe Eigenkonstruktion versperrt den Blick nach links – und genau das soll sie auch. Die im Landkreis Esslingen bisher einmalige Kirchheimer Mauer dient der „Verschlechterung der Anfahrsicht“, wie die Stadt im schönsten Bürokratendeutsch mitteilt. Wo andere Kommunen eher mal zur Säge greifen, um den Autofahrern im Sinne einer freien Fahrt für freie Bürger freie Sicht zu verschaffen, geht man in der Teckstadt einen anderen Weg.

„Wir haben uns das gut überlegt“, sagt Marcus Degen, der Leiter des Sachgebiets Ordnung und Verkehr im Kirchheimer Rathaus. Seinen Worten zufolge dient die Wand der Verkehrssicherheit. „Die Kreuzung ist ein ausgewiesener Unfallschwerpunkt. Da bestand dringender Handlungsbedarf“, sagt Deger unter Hinweis auf die Statistik.

Die Unfälle folgen alle dem gleichen Muster

In den vergangenen Jahren hat es demnach an der Einmündung im Schnitt sieben bis acht Mal gekracht. Die Unfälle sind immer nach dem gleichen Muster abgelaufen. In der Regel war ein eiliger Autofahrer auf den an der Kreuzung auf freie Fahrt wartenden Vordermann aufgefahren. Der Unfallverursacher hat dabei auf die freie Sicht nach links vertraut und in der Annahme, die Kreuzung sei frei, Gas gegeben – nicht bedenkend, dass der Vordermann an dem Stoppschild vorschriftsmäßig angehalten hat. Die irrige Annahme, dass, wenn schon er sich nicht an das Stoppschild halte, es sein Vordermann auch nicht machen würde, kommt dem Verkehrssünder dann meistens teuer zu stehen.

Die Bretterwand zwingt nun den Autofahrer, sich beim langsamen Annähern an die Kreuzung auf das Verhalten des Vordermanns zu konzentrieren und erst dann den Blick nach links zu wenden. Idealerweise aber sollte er sowieso an der Stoppstelle anhalten. „So, wie es die Straßenverkehrsordnung vorschreibt“, sagt Deger.

Der Bau der Wand ist seinen Worten zufolge keine einsame Entscheidung der Verkehrsverwaltung gewesen. „Wir haben uns in der Verkehrskommission gemeinsam überlegt, wie der Unfallschwerpunkt am besten entschärft werden kann“, sagt Deger. Dabei sei auch geprüft worden, ob die Wand die Sicherheit der Fußgänger beeinträchtigen könnten. Das habe laut Deger ausgeschlossen werden können, weil die Querungsinsel von den Fußgängern ohnehin verlange, nur den Verkehrsfluss auf einer Fahrbahn im Blick zu halten.

Die Wand soll mindestens ein Jahr stehen bleiben

850 Euro lässt es sich die Stadt kosten, die Autofahrer praktisch vor sich selbst zu schützen. „Das Holz stammt von der Douglasie. Als Befestigungen dienen Verkehrszeichenstützen“, sagt Christian Maiwald, der Sachgebietsleiter Baubetrieb in Kirchheim. Der Auftraggeber ist seinen Worten zufolge die Verkehrskommission der Stadt gewesen. In deren Reihen ist man sich einig, dass die Wand erst einmal ein Jahr zur Probe stehen bleiben soll. „Je nachdem, wie sich die Unfallzahlen entwickeln, wird über die dauerhafte Anbringung entschieden“, so der Sachgebietsleiter.

Die Wand selbst mag zwar neu sein, die Idee dahinter ist es allerdings nicht. „Bei vergleichbaren Situationen im Straßennetz hat sich eine Verschlechterung der Anfahrsicht schon häufig als zielführende Maßnahme herausgestellt“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung aus dem Kirchheimer Rathaus. Christian Bonnaire, der der Verkehrskommission als Verkehrssachbearbeiter der Polizeipräsidiums Reutlingen mit Rat und Tag beiseite steht, sagt es einfacher: „Die Idee funktioniert“.

Bonnaire verweist auf eine ähnliche Konstellation, mit denen sich die Verkehrsexperten lange herumgeplagt hatten. „Die B 312-Auffahrt bei Neckartailfingen war lange unser Sorgenkind“, sagt Bonnaire. Seit dort jedoch zwei Erdhügel aufgeschüttet worden seien, um die Anfahrsicht zu verschlechtern, sei die Zahl der Unfälle merklich zurückgegangen.