Die Weinlese ist harte Handarbeit – vor allem in den Steillagen am Zusammenfluss von Enz und Neckar bei Kirchheim. Die Mühe lohnt sich für die Weingärtner indes kaum.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Kirchheim/Neckar - Sogar der Opa steht in der Steillage. Am Kirchheimer Kapellenberg, wo die Steigung rund 80 Prozent beträgt und mehr als 300 Stufen zwischen der untersten und der obersten Rebzeile liegen, kommt es auf jeden Helfer an. „Es gibt noch Patrioten“, sagt Hermann Rosenberger und meint damit sich und all die Kollegen, die die Flächen am Neckar bewirtschaften. Anders als mit Liebe zur Heimat lässt sich die Schufterei wohl kaum erklären. Denn sie bereitet Schmerzen. „Unsere Buttenträger gehen am nächsten Tag auf Händen und Füssen vor Muskelkater“, erzählt Hermann Rosenberger. Richtig weh tut auch der Lohn für die Mühsal: 1979, als der Landwirt den Weinberg von seinem Großvater erbte, gab es 2,20 Mark für das Kilo Trauben von der Strombergkellerei, heute gibt es im Schnitt einen Euro.

 

Am Hohenhaslacher Kirchberg liest Samuel Weiberle ebenfalls Trollinger, alleine und genau 125-mal so schnell wie die Rosenbergers am Kapellenberg. Der 29-Jährige sitzt auf 160 Pferdestärken. Mit dem Vollernter fährt er in schnellem Schritttempo die Rebzeilen entlang, nimmt die Pflanzen in die Mitte und schüttelt die Beeren vom Stock. Ein Gebläse sortiert die Blätter aus, über ein Förderband landen die Früchte im Inneren der vier Meter hohen und 2,70 Meter breiten Maschine. Wenn Samuel Weiberle mit einer Reihe fertig ist, sieht es aus, als wären die Vögel da gewesen.

Vorbehalte gegen den Vollernter

Während der Lese grast der Wengerter von halb sechs Uhr morgens bis in die Nacht Weinberge im Stromberggebiet ab. „Anfangs gab es bei uns Vorbehalte, dass der Vollernter schlecht für die Qualität ist“, berichtet er, „aber teilweise ist er sogar besser und schonender.“ 1999 schaffte sich Weiberle die erste Maschine an, mittlerweile hat er zwei. 220 000 Euro kostet ein neues Gerät. Man kann ihn und die Maschine mieten. 4,60 Euro verlangt Weiberle für die Minute und ist damit um die Hälfte billiger als die Lese von Hand. Außerdem erspart er den Weingärtnern die Suche nach Erntehelfern, sechs Euro pro Stunde lockt nur noch wenige in den Weinberg.

In der Pfalz sind die Fahrzeuge bereits seit den 1980er Jahren im Einsatz, dort wachsen die Reben auch eher an Hügeln als auf Bergen und richtig steil sind nur 20 Hektar. Denn der Maschine sind Grenzen gesetzt, mehr als 40 Prozent Steigung schafft sie nicht. Und in Württemberg gelten laut dem Landwirtschaftsministerium 800 der 11 000 Hektar, auf denen Reben wachsen, als Steillage. Die Mitglieder der Strombergkellerei können den Vollernter höchstens auf einem Viertel ihrer Flächen fahren lassen. Sechs Millionen Kilogramm Trauben schleppen sie ohne mechanische Unterstützung in den Keller. Samuel Weiberle wartet darauf,dass auch für Steillagen ein Vollernter kommt. An der Mosel, wo mehr als 4000 Hektar Schräglage haben, wurden schon Prototypen entwickelt. „Wir wollen am Hang bleiben, da wachsen die besseren Qualitäten“, sagt er.

Hermann Rosenberger gibt seine 20 Ar am Kapellenberg auf, die Pacht ist gekündigt. Ein Hektar Steillage bleibt ihm noch. Der 53-Jährige hat es sich lange überlegt, er sieht ja, was passiert, wenn sich niemand mehr kümmert: die Trockenmauern fallen ein, die Grundstücke verbuschen. Er erzählt von einer Nachbarin, die ihr Eigentum aufgegeben hat, das Grundstück ist jetzt herrenlos. „Die Steillagen sind ein Kulturgut, das man erhalten sollte“, sagt Hermann Rosenberger, „die Pyramiden erhält man doch auch.“ Seiner Meinung nach kann es nur noch die Politik retten.

Lemberger auf zehn Ar gepflanzt

Am Kapellenberg hat der Bürgermeister eigenhändig eine Brombeerwüste wieder in einen Weinberg verwandelt. Auf zehn Ar pflanzte Uwe Seibold Lemberger. Einen Steillagenförderverein gründeten sie in Kirchheim zur Pflege der Trockenmauern. „Wehret den Anfängen“, sagt der Schultes, „denn es kann rasend schnell gehen, dass eine Lage zerfällt.“ Alexander Bonde strengt sich ebenfalls an: Seit März ist der SPD-Landwirtschaftsminister in den Weinbergen unterwegs, zuletzt in Vaihingen-Roßwag. „Die Steillagen sind ein Markenzeichen des Weinbaulandes Württemberg“, sagt er bei diesen Gelegenheiten und stellt Zuschussmöglichkeiten vor.

Hermann Rosenberger erzählt der Minister nichts Neues. Alle bisherigen Bemühungen, inklusive neuer Premiumweine aus den Steillagen, sind für ihn nur Tropfen auf den heißen Stein. Wie aussichtslos die Lage unter den jetzigen Bedingungen ist, macht er an seiner Lesemannschaft deutlich: „Wir kämpfen hier mit 80-Jährigen.“