Der Neckartal-Radschnellweg ist als Leuchtturmprojekt gesetzt. Doch es gibt eine zweite Verbindung im Kreis Esslingen, der noch mehr Potenzial zugetraut wird.

Kirchheim/Ostfildern - Die baden-württembergische Landesregierung, allen voran der Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), hat sich den Radschnellweg durch das Neckartal als Leuchtturmprojekt ausgeguckt. Bei der Planung, Genehmigung und Realisierung der rund 22 Kilometer langen Radautobahn zwischen Reichenbach/Fils und Stuttgart hat das Land den Hut auf – wie auch bei den anderen beiden Vorzeigeprojekten, den Radschnellwegen zwischen Heidelberg und Mannheim und zwischen Heilbronn und Bad Wimpfen. In dem langen Schatten, den der Leuchtturm im Neckartal wirft, gibt es im Landkreis Esslingen allerdings einen zweiten Radkorridor, dem die Planer noch mehr Potenzial zutrauen.

 

Eine Radschnellwegverbindung zwischen Kirchheim und Stuttgart über Denkendorf und Ostfildern würde nach Einschätzung des mit der Potenzialanalyse beauftragten Büros Brenner Bernard Ingenieure erheblich mehr Radler in den Sattel lupfen als die Magistrale durchs Neckartal. Sie würde die prosperierende Filderregion mit ihren vielen Arbeitsplätzen an die regionalen Entwicklungsachsen entlang des Neckars und der Lauter anbinden. Um die Anziehungskraft der künftigen Radautobahn zu beurteilen, haben die Planer auch das nähere Umfeld ins Auge gefasst. Um den Korridor wurde ein Einzugsbereich mit einem Radius von einem Kilometer gelegt, um so auch die Schülerzahlen weiterführender Schulen in die Berechnung einfließen zu lassen.

Rund 2300 Radler könnten den Schnellweg über die Filder nutzen

Während die vom Land als Pilotprojekt geadelte Neckartalverbindung in der Rangliste der landesweit identifizierten 70 möglichen Korridore auf dem 26. Platz landet, ist die Verbindung von Kirchheim über die Filderebene nach Stuttgart immerhin auf Rang 18 gelistet. Die 27,5 Kilometer lange mögliche Verbindung von Kirchheim in die Landeshauptstadt könnte nach den Berechnungen des Ingenieurbüros pro Tag von rund 2300 Radlern genutzt werden. Dem Neckartal-Radschnellweg hingegen wird aktuell lediglich ein Potenzial von rund 2100 Radlern pro Tag bescheinigt.

In seiner Haushaltsrede vor dem Esslinger Kreistag hatte der Landrat Heinz Eininger (CDU) das Thema raus aus der Radlerecke und auf die politische Tagesordnung gelupft. „Ende nächsten Jahres wollen wir eine weitere Studie für eine durchgehende Radschnellverbindung von Kirchheim über Denkendorf nach Ostfildern angehen“, kündigte der Kreischef unter Hinweis auf die Analyse an, die der Strecke mehr Potenzial bescheinigt als dem Radschnellweg im Neckartal.

Eine Machbarkeitsstudie soll Aufschluss über den Verlauf geben

Wir stehen noch ganz am Anfang der Überlegungen“, ergänzt der Leiter des Straßenbauamts im Landratsamt, Thorsten König. Seinen Worten zufolge dürfte der erste Abschnitt im Lautertal zwischen Kirchheim und Wendlingen planerisch wohl keine unlösbaren Probleme bereiten. Der Knackpunkt sei die Filderauffahrt. Immerhin wartet auf die Radfahrerin oder den Radfahrer, egal von welcher Seite er oder sie auch kommt, auf dem Weg aus dem Neckartal hinauf auf die Filder ein Höhenunterschied von mehr 200 Metern. Allerdings relativiert sich die Steigung in Anbetracht immer leistungsfähigerer Elektroantriebe sehr schnell auch wieder.

„Wo die Strecke genau hochführt und wie sie dann weitergeht, das muss mit der Raumschaft geklärt werden“, sagt König. Er geht davon aus, dass diese Frage im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geklärt werden wird. Angesichts der vielen beteiligten Städte und Gemeinden plädiert König für eine Vorgehensweise, wie sie schon beim Neckartal-Schnellweg praktiziert wird. „Ich denke, es ist unerlässlich, den Radweg, vergleichbar einer Landesstraße, in der Baulast des Landes zu bauen“, sagt er. Nur so ließen sich die vielen Einzelinteressen unter einen Hut bekommen.

Denn die Umsetzung ist kompliziert. Die Machbarkeitsstudie, die das Straßenbauamt und ein Frankfurter Fachbüro in Zusammenarbeit mit den Kommunen erstellt hat, empfiehlt im Neckartal eine Trassenführung mit fünf neuen Brücken – von denen die aufwendigste zwischen Plochingen und Deizisau über den Neckar führen soll – und zwei Unterführungen. In einer ersten Kostenschätzung ist von Investitionen in Höhe von rund 60 Millionen Euro die Rede.

Mittel gegen den Dauerstau

Die grün-schwarze Landesregierung sieht die Radschnellverbindungen als einen großen Hoffnungsträger in der Verkehrs- und Umweltpolitik. Die schadstofffreie Fortbewegung auf dem Fahrrad gilt nicht nur als gesund, sondern auch als probates Mittel gegen den Dauerstau auf den Straßen in der Region.

Der Ausbau der Radinfrastruktur in Baden-Württemberg hat zum Ziel, den Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen bis zum Jahr 2030 auf rund 30 Prozent zu erhöhen. Vor allem die Schnellwege, die qualitativ hochwertig gebaut und möglichst kreuzungsfrei angelegt sind, sollen die Berufspendler in der Region aus dem Dauerstau heraus an die dann frischere Luft bringen.