In einer Kirchheimer Werkstätte ist ein mehrfach preisgekröntes Kleinmöbel entstanden. Melchior Harlan steuerte in diesem Jahr das beste Meisterstück des Schreinergewerbes im Bereich der Handwerkskammer Stuttgart bei.
Kirchheim - Wäre da nicht die aparte Holzmaserung auf der Vorderseite, man könnte das Wandschränkchen beim ersten Augenschein glatt als eines unter vielen einstufen. Doch schon ein leichter Druck auf einen Auslöserpunkt an der Unterseite lässt die beiden Vorderhälften sanft zur Seite wegschwingen, und der Blick fällt auf ein ausgeklügeltes Innenleben des Kleinmöbels. Jeweils drei Drehfächer in den ausgefahrenen Kubushälften, Holzzapfen zum Aufhängen von Halsketten und ähnlichem Zierwerk sowie ein stufenlos verstellbarer Spiegel an der Rückseite deuten auf die Funktion eines Schmuckschränkchens hin.
Geburtsstunde des viel gepriesenen Meisterstücks
Noch ehe die ersten Schmuckaccessoires in dem Hängekästchen freilich eine Bleibe fanden, hat das Minimöbel erst einmal ermöglicht, dass sich sein Erbauer Melchior Harlan mit Meisterehren schmücken darf. Damit nicht genug: mit der Note 1,1 und 99,3 von 100 möglichen Punkten steuerte der 37-Jährige in diesem Jahr das beste Meisterstück des Schreinergewerbes im Bereich der Handwerkskammer Stuttgart bei. Und der Glanz des Schmuckkästchens strahlte bis ins Stuttgarter Haus der Wirtschaft, wo für Harlan bei der erst jüngst zu Ende gegangenen Ausstellung „Möbel zum Träumen“ zusätzlich ein Goldener Würfel heraussprang. Dieses Gütesiegel ist bei der Möbelschau insgesamt nur zweimal vergeben worden. Schließlich vertrat der höchst erfolgreiche Schreiner bei der schon traditionellen Abschlussfeier des baden-württembergischen Handwerks unter 800 frisch gebackenen Meistern das Tischlergewerbe.
Die Geburtsstunde des viel gepriesenen Meisterstücks schlug in der kleinen Werkstatt eines hundertjährigen Bauernhauses in Kirchheim. Dort tüftelte, fräste und schraubte der gebürtige Hamburger, dessen Frau aus der Teckstadt stammt, in diesem Sommer über mehrere Wochen hinweg an seinem Objekt, um ihm den letzten Schliff zu geben. Und ging es nicht ohne Maschinen ab, dann nutzte er die Möglichkeiten eines in der Landeshauptstadt ansässigen Werkstattkollektivs.
Die Kunst der Möbelrestauration
Als es indes um die Lösung der Schließ- und Öffnungstechnik des Schränkchens ging, war Harlan, wie er sagt, ganz auf sich allein gestellt. Trotz intensivster Pirsch durch Baumärkte und Beschlägeläden sei ihm nur die Marke Eigenbau geblieben. Mit der Folge freilich, dass das Thema Mechanik ihn noch heute fest am Tüftler – und Bastlerwickel hat.
Seinem „romantischen Einschlag“ zuliebe ging Melchior Harlan nach seiner Schreinerlehre – und vor dem Studium der Theologie und Pädagogik – auf die Walz nach Italien, bis hinunter und hinüber nach Sizilien. Dabei hat er unter anderem in einer römischen Behinderteneinrichtung mit Jugendlichen gearbeitet und sie angeleitet, in Florenz beauftragte ein Klosterbesitzer den durchreisenden Handwerksgesellen damit, sechs Mönchszellen in Gästezimmer umzuwandeln.
Harlan möchte die Erfahrungen, die er in Italien gemacht hat, nicht missen, denn dort werde die Handarbeit und die Kunst der Möbelrestauration besonders hochgehalten. Und so hat bestimmt auch das Kirchheimer Schmuckschränkchen von mediterranen Impressionen seines Schöpfers profitiert. Trotz der dekorativen Vorderseite des Meisterwerks aus Eschenwurzelholz – Melchior Harlan: „Das gehört eigentlich in den Ofen!“ – und des unprätentiösen Kubusgehäuses aus kanadischem Ahorn zählt die äußere Schlichtheit zum Programm. „Das Design erwächst aus der Funktion“, lautet eine zentrale Maxime des 37-Jährigen, der vorzugsweise seine Zukunft in der Berufsbildung sieht. Auf diesem Feld die praktische Arbeit eines Tischlermeisters mit pädagogischen Kenntnissen zu kombinieren, „das wäre toll“, sagt Melchior Harlan.