Die Kirchen haben mit einem Schwund an Mitgliedern zu kämpfen. Doch die vier kirchlichen weiterführenden Schulen sind hiervon überhaupt nicht tangiert. Sie sind in Stuttgart sehr beliebt. Woran liegt das eigentlich?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Dass es sich bei dem Mädchengymnasium St. Agnes um eine katholische Schule handelt, merkt man nicht nur daran, dass an der Pforte eine Schwester sitzt und in den Klassenzimmern Kreuze hängen. Jeder Schultag beginnt hier mit dem gemeinsamen Gebet. Einmal in der Woche gibt es zudem eine Pausenandacht in der Hauskapelle. Der Besuch ist freiwillig – um „Atem zu holen“ und zur Ruhe zu kommen, wie es die Schulleiterin, Schwester Iris Rederer, ausdrückt. Sie ist Franziskanerin, lebt wie ihre Ordensschwestern in der Schule. Nur noch zwei Ordensschwestern gehören dem Kollegium an. Die Franziskanerinnen haben Nachwuchssorgen – die Schule nicht. Das Mädchengymnasium ist das größte Gymnasium Stuttgarts. Seit Jahren übersteigt die Zahl der Bewerberinnen die der Plätze. Im vergangenen Schuljahr wurden von den 200 Interessierten 150 Mädchen aufgenommen.

 

Es scheint fast paradox: Die Kirchen haben mit einem Schwund an Mitgliedern zu kämpfen. Doch die vier kirchlichen weiterführenden Schulen sind hiervon überhaupt nicht tangiert. Sie sind in Stuttgart sehr beliebt: Das gilt sowohl für die beiden katholischen Gymnasien St. Agnes und Albertus- Magnus als auch für die evangelischen Schulen Mörike-Gymnasium und -Realschule sowie das Heidehof-Gymnasium.

Natürlich profitierten sie von ihrem guten Ruf, sagt die Schulleiterin des St. Agnes, Schwester Iris Rederer. Der Aspekt, dass sie eine kirchliche Schule sind, sei den Eltern und den Mädchen ebenfalls wichtig. Gearbeitet wird wie beim Albertus-Magnus-Gymnasium nach dem Konzept des Marchtaler Plans (siehe Glossar). „Wir sehen das Individuum im positiven Sinn“, sagt die Franziskanerin. Nicht nur Leistung werde in den Vordergrund gestellt, sondern die Persönlichkeitsentwicklung, man verfolge einen ganzheitlichen Ansatz. Bei weitem nicht alle Schülerinnen seien dabei katholisch: Aktuell sei es etwa die Hälfte, die andere Hälfte sei evangelisch oder gar nicht konfessionell gebunden. Auch für letztere gilt: Religion ist verpflichtendes Fach bis zum Abitur. Die Lehrer wiederum gehören am St. Agnes alle entweder der katholischen oder der evangelischen Kirche an. „Wir legen Wert auf ein Miteinander, das von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist“, sagt Schwester Iris Rederer.

Schüler absolvieren ein diakonisches Praktikum

Die evangelischen Schulen werden von der Evangelischen Schulstiftung Stuttgart betrieben. Rund 1400 Schüler besuchen die weiterführenden evangelischen Schulen. Dort hängen zwar keine Kreuze in den Klassenzimmern, aber auch hier spielt das geistige Leben im Schulalltag eine Rolle. „Das diakonische Element ist sehr ausgeprägt“, sagt der Referent des Vorstands der Schulstiftung, Matthias Ahrens. So absolvieren beispielsweise alle Neuntklässler des Mörike-Gymnasiums ein diakonisches Praktikum, sie arbeiten sieben Tage lang in einer diakonischen Einrichtung. Auch mit Gottesdiensten und Andachten kommen die Schüler „ganz selbstverständlich in Berührung“, wie Ahrens sagt. Er verweist hier auf enge Verbindungen zu den Kirchengemeinden.

Dass die evangelischen Schulen bei Eltern und Schülern so beliebt seien, liege aber natürlich zunächst einmal an einem Grund: „Es handelt sich um gute Schulen“, sagt der Referent. Auch er führt, ähnlich wie Schwester Iris Rederer, an, man habe das Individuum besonders im Blick. „Die Wertschätzung des Einzelnen“ sei besonders hoch, meint er.

Die bildungsorientierte Mittelschicht ist stark vertreten

Auch am Mörike und am Heidehofgymnasium müssen die Schüler nicht zwingend Mitglied der evangelischen Kirche sein. „Evangelisch zu sein ist nicht die Bedingung, es können alle kommen“, stellt der Referent klar. Doch auch hier gilt: vom Religionsunterricht kann sich niemand befreien lassen. Religion ist Pflichtfach.

Ursprünglich sind die beiden evangelischen Gymnasien bei ihrer Gründung nicht kirchlich gewesen. Das Mörike ging auf eine Elterninitiative zurück, das Heidehofgymnasium wurde als Reformschule gegründet. Beiden ist bis heute gemein, dass die Zahl der Kinder mit bürgerlichem Hintergrund überdurchschnittlich hoch ist. Die bildungsorientierte Mittelschicht sei an den Schulen stark vertreten, sagt Ahrens. Tatsächlich sei die Stadtgesellschaft nicht in ihrer ganzen Vielfalt vertreten, räumt er ein. Ob das auch ein Grund ist, warum die Schulen so beliebt sind, müsse man die Eltern selbst fragen. Auf jeden Fall scheinen die Schulgebühren die Eltern nicht abzuschrecken. Wer sein Kind auf eine kirchliche Schule schickt, zahlt monatlich dafür. Bei den evangelischen Schulen sind es derzeit 115 Euro im Monat, beim St. Agnes 39,30 und beim Albertus-Magnus-Gymnasium 60 Euro im Monat. Es gibt auch noch Sozialtarife und Ermäßigungen für Geschwisterkinder.