Kirsten Heisig ist Jugendrichterin in Berlin-Neukölln. Sie kämpft mit eigenen Mitteln, damit aus kleinen Machos keine großen Gangster werden.

Berlin - Am Tag vor der Gerichtsverhandlung ruft der Lehrer die Richterin an. Weinend. Er will keinen Prozess. "Wenn ich wegen dieser Sache vor Gericht muss, bin ich in der Schule untendurch. Die mobben mich." Eine Schule in Berlin-Neukölln, neunte Klasse. Wer hier sitzt, der kennt Gewalt und Armut nicht nur aus dem Fernsehen. Er hat all das vor der Haustür und meistens auch dahinter. Die meisten Schüler kommen aus Einwandererfamilien, fast alle leben von Hartz IV. Schuleschwänzen ist normal, ein Abschluss nicht.

Drei Wochen zuvor im Werkunterricht. Der Lehrer ermahnt im Vorbeigehen einen Schüler. Der nimmt eine Schere und richtet sie gegen ihn: "Schade, dass ich nur eine Schere habe und kein Messer." Es gibt hier in Neukölln 15-jährige, die finden so etwas lustig. Und es gibt 15-jährige, die landen im Gerichtssaal von Kirsten Heisig. Dann ist Lachen nicht die richtige Reaktion.

Kirsten Heisig versinkt hinter dem walnussfarbenen Richtertisch fast im Samtkragen ihrer Robe. Sie ist eine zerbrechlich wirkende, schmale Frau mit dunklem Pagenkopf und einem ziemlich sanften Madonnengesicht. So sanft, dass man sich über manche Sätze wundert. Über diesen zum Beispiel: "Wenn Sie der Schule fernbleiben, dann nehme ich Sie in Beugearrest." Das ist das Urteil für den Schüler: Eine Weisung, die Schule zu besuchen. Eigentlich keine Strafe, vor der Neuköllner Jungs schlottern. Kontrolliert ja keiner. Kirsten Heisig schon. Sie gibt dem Lehrer ihre Handynummer. Sobald der kleine Straftäter im Unterricht fehlt, wird das Telefon klingeln. Der Schüler weiß das. Normalerweise geben Richter nicht ihre Handynummern raus. Aber mit dem, was Richter normalerweise tun, hat Kirsten Heisig schon lange aufgehört.