Die geplante Vorverlegung des Einschulungsstichtags bedeutet, dass allein in Stuttgart jedes Jahr 1250 Kinder weniger schulpflichtig werden. Bis zu 900 zusätzliche Kitaplätze werden benötigt. Doch die hat Stuttgart nicht.

Stuttgart - Vom Schuljahr 2020/21 an sollen nur noch diejenigen Kinder schulpflichtig werden, die bis zum 30. Juni sechs Jahre alt geworden sind. Kinder, die erst bis zum 30. September sechs werden, können in die Schule, müssen aber nicht. Das bedeutet, ein Viertel eines Jahrgangs sind künftig „Kann-Kinder“ statt „Muss-Kinder“. Einen entsprechenden Gesetzentwurf plant die Landesregierung und reagiert damit auf eine Petition von Eltern. Nicht nur in der Landeshauptstadt hat dieses Vorhaben große Besorgnis ausgelöst. Bürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) rechnet damit, dass in der Folge künftig bis zu 900 Kinder pro Jahr mehr als bisher einen Kitaplatz benötigen und somit Plätze für jüngere Kinder blockieren. Alles Kinder mit Rechtsanspruch. Aber so viele zusätzliche Plätze könne Stuttgart nicht bieten. Schon jetzt stehen 3000 Kleinkinder auf der Warteliste.

 

„Die Zeiten haben sich geändert“, meint Fezer. „Inzwischen sagen viele, das Kind soll noch mal ein Jahr spielen. Natürlich weiß niemand genau, wie viele Plätze wir zusätzlich brauchen. Aber wenn wir hochrechnen, kommen wir auf 900 Plätze.“ Tatsächlich gebe es künftig 1250 „Kann-Kinder“, aber von dieser Zahl habe man bereits die übliche Quote der Schulrückstellungen für diesen Zeitraum abgezogen: in Stuttgart 350 Kinder. Der Unterschied zum bisherigen Verfahren ist: Künftig müssen die Eltern dieser 1250 Kinder keine Rückstellung mehr beantragen, falls sie ihr Kind erst ein Jahr später einschulen lassen wollen.

Und bisher, so Fezer, musste man eine Rückstellung begründen, sie wurde geprüft und meistens auch gewährt. Wenn die Regelung so komme, und damit rechnet die Bürgermeisterin, wäre dies „ein Problem für alle Kommunen“. Denn, so Fezer: „Wir können die Kinder nicht rausschmeißen. Wir werden über Gruppengrößen sprechen müssen.“ Im Gespräch sei auch eine schrittweise Umsetzung, aber noch sei das alles nicht ausgegoren. Jugendamtschefin Susanne Heynen befürchtet „eine Katastrophe“.

Doch das Problem trifft nicht nur die Landeshauptstadt: „Wir gehen insgesamt davon aus, dass es im Land bis zu 20 000 Kinder betreffen könnte, die noch ein Jahr länger in der Kita bleiben“, sagt Benjamin Lachat vom Städtetag Baden-Württemberg. „Das setzt alle unter Druck: die Erzieherinnen, die Einrichtungsleiterinnen und die Kommunen.“ Denn, so Lachat weiter: „Es ist völlig unklar, wie das in diesem kurzen Zeitraum bis zum Schuljahr 2020/21 gelöst werden kann.“ Vorschlag des Städtetags wäre, den Stichtag stufenweise vorzuverlegen – „das würde das Problem abmildern“, so Lachat. „Wir wünschen uns für die Zukunft, dass wir im Vorfeld politischer Entscheidungen sehr frühzeitig eingebunden werden“, erklärt der Städtetagsreferent. „Wir haben das auch der Kultusministerin geschrieben.“ Inzwischen sei ein erster Gesprächstermin mit der Ministerin Ende August avisiert.

Im Kultusministerium kann man die Befürchtungen der Kommunen nicht nachvollziehen

Auch Bürgermeisterin Fezer will Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) schreiben und sie bitten, die Stichtagsregelung „noch mal zu überdenken“. Denn bisher seien die Kommunen an der Sache nicht beteiligt worden. Dies soll aber laut Kultusministerium noch erfolgen, und zwar nach der Freigabe des Gesetzentwurfs durch den Ministerrat in Form eines breit angelegten Anhörungsverfahrens. „Unser Ziel ist, das Schulgesetz zum Schuljahr 2020/21 zu ändern“, sagte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage unserer Zeitung. Die Details würden gerade ausgearbeitet – „bereits in dieser Phase werden wir uns mit den kommunalen Landesverbänden austauschen“. Sie versichert, man nehme die Anliegen der Kommunen ernst. „Dass aber ein Viertel eines Jahrgangs durch die Änderung ein Jahr später eingeschult wird, wie etwa unlängst die Stadt Pforzheim mitgeteilt hat, können wir nicht nachvollziehen“, heißt es im Kultusministerium.

Ministerin Eisenmann verweist darauf, dass die geplante Änderung der Stichtagsregelung auf einen Elternwunsch zurückgehe: „Der Bildungsausschuss ist nach reiflicher Überlegung unserem Vorschlag einmütig gefolgt, den Stichtag auf den 30. Juni vorzuziehen. Wichtig ist dabei, dass nicht das Alter alleine entscheidend ist, sondern der individuelle Entwicklungsstand jedes Kindes.“ Nun bleibe abzuwarten, wie sich die Eltern der künftigen „Kann-Kinder“ entscheiden. Es bestehe ja weiterhin die Option, dass sich künftig in etwa die gleiche Zahl an Eltern für die Einschulung entscheide wie bisher.

Im Staatlichen Schulamt rechnet man mit einer Entlastung bei der Lehrerversorgung

Davon geht Thomas Schenk, der Leiter des Staatlichen Schulamts, eher nicht aus. Er rechnet mit einer Entlastung: „Das würde uns richtig Luft verschaffen, was die Grundschul-Lehrkräfte angeht“, sagt er im Blick auf die klammen Personalressourcen. Allerdings plane seine Behörde, die Eltern der künftig schulpflichtigen Kinder bereits im November anzuschreiben und sie aufzufordern, bereits vor der regulären Anmeldung im Februar/März in der Schule vorstellig zu werden. „Das dient der frühzeitigen Kontaktaufnahme zur Beratung der Eltern“, sagt Schenk. Und es helfe dem Amt bei der Regelung des Lehrerbedarfs. Schenk kündigt an: „Wenn das Gesetz bis Oktober nicht durch ist, werden wir alle Eltern einladen.“ Auch die der künftigen „Kann-Kinder“.