Bundesweit 93,44 Prozent der beteiligten Verdi-Mitglieder haben sich für einen Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst ausgesprochen. Die Eskalation war absehbar. Verdi sucht offenkundig den Grundsatzkonflikt, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die enorm hohe Zustimmung der Verdi-Mitglieder für einen Arbeitskampf vor allem in den Kindertagesstätten kann so wenig überraschen wie Heiligabend am 24. Dezember. Die Gewerkschaft hatte die Beschäftigten in sorgsamer Vorbereitung der Eskalation längst auf ihre Seite gebracht. So ist der am Freitag beginnende Streik die fast zwangsläufige Folge. Auch die Arbeitgeberseite konnte sich im Grunde seit Jahren darauf vorbereiten. Die Offensive von Verdi hat viel damit zu tun, dass es hier nicht nur um mehr Geld für die Erzieherinnen geht, angestrebt wird nicht weniger als ein gesellschaftlicher Wertewandel: Demnach sollen die Sozialdienste insgesamt im Lohngefüge der großen Berufsgruppen aufgewertet werden. Die Kita-Erzieherinnen sind auf diesem Weg lediglich das Aushängeschild von Verdi, weil ihr Ansehen in Politik und Öffentlichkeit spürbar wächst. Ohne diesen bestens organisierten Bereich wäre diese Schlacht wohl gar nicht zu gewinnen.

 

Riesige Erwartungen aufgebaut

Dennoch: Baut die Gewerkschaft einen Popanz auf, wenn sie eine generell schlechte Bezahlung der Erzieherinnen beklagt? Sind die Forderungen völlig überzogen? Im Vergleich zu vielen technischen Berufen mag die Kritik berechtigt sein, zumal von deren Gehaltsniveaus vor allem Männer profitieren – während im Sozialdienst zumeist Frauen unter ungünstigen Einkommensbedingungen arbeiten. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dieses geschlechtsspezifische Ungleichgewicht ins Lot zu bringen. Gemessen an der Finanzlage vieler Kommunen handelt es sich jedoch um drastische Forderungen; da stellt sich die Frage der Finanzierung in voller Schärfe. Entweder die Kita-Gebühren müssen erhöht werden, was wenig erstrebenswert erscheint, oder die Träger schichten zugunsten des Erziehungsdienstes um. Verdi muss auch bedenken, ob sie die immer höheren Erwartungen der Mitglieder erfüllen kann. Lassen sich die Tarifforderungen nicht weitgehend realisieren, drohen herbe Enttäuschungen bei denen, die den Arbeitskampf schultern.