Die Eltern des zweijährigen Klägers berichten vom „Spießrutenlauf“ bei der Suche nach einem Krippenplatz. Dabei hatten sie bereits zwei Monate nach der Geburt um einen Platz nachgesucht.

Stuttgart - Bei der Verhandlung des Verwaltungsgerichts Stuttgart am Freitag sind erstmals im Südwesten die Folgen aus dem Rechtsanspruch für einen Krippenplatz im Detail behandelt worden. Mit Spannung war das Urteil deshalb von der Öffentlichkeit, aber auch von den Betroffenen und der beklagten Stadt Stuttgart erwartet worden. Demnach ist die Stadt als Trägerin der Jugendhilfe verpflichtet, den Eltern eines zweijährigen Jungen die Mehrkosten zu erstatten, die diese für die teurere private Krippe aufbringen müssen. Da der Kleine in einer städtischen oder kirchlichen Einrichtung keinen Platz erhielt und deshalb im Early Bird Club betreut wird, muss die Stadt 5620 Euro samt Zinsen erstatten – und auch die Mehrkosten für die künftige Betreuung.

 

Die Eltern, die ihren Sohn vor Gericht vertraten, waren damit einverstanden, dass ihre Klage wegen des Krippenplatzes eingestellt wird, zumal der Kleine mit seinen zweidreiviertel Jahren ohnehin nur noch drei Monate einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz hat. Doch auch in dieser verbleibenden Zeit könne man dem kleinen Jungen keinen städtischen Krippenplatz in zumutbarer Entfernung – maximal fünf Kilometer oder 30 Minuten Fahrweg – zur Verfügung stellen, erklärte Heinrich Korn, der stellvertretende Chef des Jugendamts. Und dies, obwohl die Familie bereits zwei Monate nach Geburt des Kindes um einen Platz nachgesucht hatte, nicht nur bei der Stadt. „Es war ein Spießrutenlauf“, berichtet der Vater.

Der Kläger hatte nur zwei Punkte auf der Prioritätenliste

Grund dafür sind die dezentrale Platzvergabe und die Vergaberichtlinien der Stadt. Diesen zufolge erreicht der kleine Kläger beim städtischen Träger nur zwei von fünf möglichen Punkten auf der Prioritätenliste – unter anderem deshalb, weil seine Eltern nicht alleinerziehend und beide in Vollzeit beschäftigt sind. In der Verhandlung machte die Vorsitzende Richterin der siebten Kammer, Sylvia Thoren-Proske, jedoch deutlich, dass der individuelle Anspruch der Kinder weiter gehe als das städtische Vergabesystem.

„Sie haben die Gesamtverantwortung, die Chose zu regeln – individuell für jedes Kind“, sagte die Vorsitzende zu den Vertretern der Stadt. Korn argumentierte, die Kindergartenlandschaft in Stuttgart sei plural, die Stadt biete nur 28,5 Prozent der Plätze selbst an, die übrigen würden von freien Trägern angeboten, mit definierten Mindeststandards. Aber eine zentrale Zuweisung durch die Stadt gebe es nicht.

Die Stadt muss in jedem Fall einen Krippenplatz anbieten

Doch dies überzeugte die Kammervorsitzende nicht: „Der Jugendhilfeträger muss anbieten.“ Die Stadt könne ja auch einen Platz in einer privaten Kita oder bei einer Tagespflegeperson zuweisen. Die Eltern hingegen hätten „alles an eigenen Anstrengungen unternommen, was man von ihnen erwarten kann“. Die Vorsitzende schob nach: „Nur die Landeshauptstadt wird beklagt – andere Träger scheinen da besser zurechtzukommen.“ Anders als die Stadt vorgebracht habe, sei der Rechtsanspruch auch nicht dadurch erloschen, dass die Familie den Platz selber beschafft habe.

Auch in einem weiteren Punkt kassierte die Stadt eine Niederlage: Während sie in dem Ablehnungsbescheid eines Platzes an die Familie den Betreuungsumfang voll anerkannt habe, habe sie in ihrer Klageerwiderung anders argumentiert und am Betreuungsbedarf von achteinhalb Stunden täglich gezweifelt, weil der Vater als selbstständiger Grafikdesigner mit eigener Werbeagentur seine Arbeitszeit einteilen könne; die Mutter gab als Produktmanagerin 40 Wochenarbeitsstunden an. Diese Zweifel teile sie nicht, erklärte die Vorsitzende.