Die EU-Klage wegen dauerhaft überschrittener Stickoxid-Grenzwerte ist für Deutschland keine Schocknachricht. Die Mühlen der Justiz mahlen in diesem Fall sehr langsam.

Stuttgart - Die Entscheidung der EU-Kommission, Deutschland wegen der dauerhaften Überschreitung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte in Städten wie Stuttgart zu verklagen, hat den Druck auf die Bundesregierung und die für die Luftreinhaltung zuständigen Behörden augenscheinlich erhöht. Doch muss Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sich wirklich um Strafzahlungen in siebenstelliger Höhe sorgen? Das Beispiel von Bulgarien und Polen zeigt, dass Justizias Mühlen und die von EU-Kommission und Parlament sehr langsam mahlen. So langsam, dass bis zu einer Entscheidung in einigen Jahren die Grenzwerte tatsächlich eigenhalten werden könnten.

 

Klagen zur Luftreinhaltung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg sind nicht ungewöhnlich, denn die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid werden in vielen Ballungsräumen der Union seit vielen Jahren überschritten. Insgesamt sind 29 Vertragsverletzungsverfahren anhängig, 16 von 28 Ländern haben Probleme mit den jeweiligen Grenzwerten.

Nach 19 Monaten das erste Urteil

Am weitesten vorangetrieben hat EU-Umweltkommissar Karmenu Vella (Malta) die Verfahren gegen Bulgarien und Polen. Nach 19 Monaten stellte der Gerichtshof im April 2017 in seinem Urteil fest, dass Bulgarien in Sachen Feinstaub gegen EU-Recht verstoße. Polen erging es nicht anderes. Und auch hier vergingen von der Einreichung der Klage bis zum Urteil in diesem Februar 19 Monate. Überträgt man die Zeitspanne auf die Klage, die sich nun gegen Deutschland, Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich richtet, würde die Entscheidung im Dezember 2019 fallen. Sie ist aber nur ein Zwischenschritt.

Mit dem Urteil verbunden ist die Aufforderung, darzulegen, wie man die Grenzwerte einhalten will. Die Mitgliedsstaaten erhielten eine „angemessene Frist“, um dem Urteil Folge zu leisten, so eine Sprecherin der EU-Kommission. Dabei würden die vorgeschlagenen Maßnahmen üblicherweise durch die Kommission eingeschätzt, bevor sie über ihre nächsten Schritte entscheide.

Bisher musste kein Land zahlen

Der nächste Schritt im Vertragsverletzungsverfahren wäre, wenn der Mitgliedsstaat trotz Urteil seiner Verpflichtung nicht nachkommt, die zweite Anrufung des Gerichtshofs, um eine Geldstrafe zu verhängen. Im Fall von Bulgarien, bei dem das Urteil nun 13 Monate zurückliegt, ist das bisher nicht geschehen. Es sei zu früh, in diesem Fall darüber zu spekulieren, so die EU-Sprecherin. Kein Mitgliedsland sei bisher wegen der Luftschadstoffe mit einer Geldstrafe belegt worden. Rechnet man die 19 und 13 Monate zusammen, würde das Verfahren gegen Deutschland bis mindestens Januar 2021 andauern. Diese Jahreszahl nannte der inzwischen zurückgezogene Entwurf des Lufteinhaltplans für Stuttgart zur Zielerreichung.

Viele Faktoren für Höhe der Strafe

Die Höhe einer möglichen Geldstrafe ist schwer abzuschätzen. Die Kommission passt ihre Zwangsgelder und Pauschalbeträge jährlich an und legt einen Faktor für jedes Land fest, je nach Leistungsfähigkeit. Deutschland hat mit 20,5 den höchsten Faktor. Bulgarien liegt bei 1,47, Polen bei 7,45. Malta hat mit 0,36 den kleinsten. Der Grundbetrag für das Zwangsgeld liegt bei 680 Euro pro Tag. Er wird mit der Anzahl der Tage multipliziert, während der die Zuwiderhandlung besteht. Gerechnet wird ab dem Datum des erstens Urteils. Dann gibt es noch einen Schwere- und einen Dauerkoeffizienten. Verhängt werden kann aber auch ein Mindestpauschalbetrag – für Deutschland 11,832 Millionen Euro.