Der Prozess um die 30-tägige Facebooksperre einer Nutzerin geht weiter. Sie will gegen Rassismus und Rechtsextremeismus vorgehen. Doch hat sie eine konkrete Person oder nur eine rechte Gruppe beleidigt?

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Tübingen - Facebook-Nutzerin klagt gegen Facebook – das klingt wie die alttestamentarische Geschichte vom Kampf Davids gegen Goliath. Folglich ist die Klägerin ein bisschen nervös. Der Anwalt der Gegenseite kommt aus Hamburg und tritt jenseits des Gerichtssaals schweigsam bis abweisend auf. Er verweist auf seine Kanzlei White & Case. Sie vertritt Facebook, das eine Tochterniederlassung in Irland hat, regelmäßig bei gerichtlichen Auseinandersetzungen in Deutschland.

 

Ausgetragen wird der Streit diesmal vor dem Amtsgericht Tübingen, in historischem Gemäuer mit langen Gängen und schwerem Eingangsportal also. Doch die Umgebung täuscht. Der Konflikt ist aktuell, auch wenn der konkrete Fall schon über ein Jahr zurückliegt. Es geht in dieser zivilrechtlichen Auseinandersetzung um die grundlegenden Dinge: das Recht auf freie Meinungsäußerung und die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook beispielsweise.

Eine von 32 Millionen deutschen Facebook-Nutzern klagt gegen Facebook. Konkret: gegen die Sperrung ihres Facebook-Kontos für 30 Tage. Das Amtsgericht soll diese für rechtswidrig erklären, fordert sie. Und obendrauf will die Frau noch Schadenersatz. Sie habe einen anderen Nutzer beleidigt, argumentiert Facebook. Und das schon zum dritten Mal. Das müsse geahndet werden. Das sei man den anderen Facebook-Nutzern schuldig.

Streitanlass: „Vollpfosten sind Vollpfosten“

Zu den Fakten: Mit dem Kommentar „Vollpfosten sind Vollpfosten“ hat die Tübingerin im vergangenen Sommer aus ihrer Meinung kein Hehl gemacht. Sie ist längst Großmutter, aber selbst ein Kind des Protestes, der Generation der Menschenketten und Sitzstreiks. Die Frau ist mit der Zeit gegangen, hat ihren Aktionsradius vergrößert. Nun sagt sie auch im Netz ihre Meinung – meist gegen Rassismus und für Demokratie. Der Ort, an dem sie gegen menschenverachtende Äußerungen kämpft, ist Facebook. Immer wieder habe sie menschenverachtende Kommentare, Aufrufe zu Selbstjustiz und Mord gemeldet – ohne Erfolg jedoch.

Stein des Anstoßes für die gerichtliche Auseinandersetzung war im August 2017 die Aktion von Vertretern der rechten Identitären Bewegung, die damals im Mittelmeer die Seenotrettung durch Nichtregierungsorganisationen zu verhindern versuchte. Die Tübingerin kommentierte einen Kommentar zu einem Kommentar der „Tageszeitung“. Das ist ein bisschen kompliziert. Wegen der verschachtelten Kommentare, so argumentiert sie, sei in ihrem Post kein konkreter Facebook-Nutzer angesprochen worden. Auch hätte sie nicht im Plural geschrieben, hätte sie einen konkreten Adressaten gemeint, sagt sie. „Vollpfosten“ allein sei von Strafgerichten schon als Beleidigung gewertet worden, hält die Gegenseite ihr als Rechtfertigung entgegen.

Richterin favorisiert einen Vergleich

Wer gewinnen wird, das bleibt auch nach diesem Freitag ungewiss. Die Sache zieht sich. Obwohl es nicht das erste Mal ist, dass die Parteien sich vor Gericht treffen. Nach der ersten mündlichen Verhandlung im April sah es nach einer Einigung aus. Der wollten die Klägerin und ihr Anwalt dann aber nicht zustimmen. Sie hätten über den Vergleich schweigen müssen. „Wir lassen uns doch keinen Maulkorb verpassen“, argumentiert der Anwalt der Klägerin. Er kommt aus der Kanzlei des Würzburger Netzrechtsexperten Chan-jo Jun, der schon mehrmals gegen Facebook vor Gericht gezogen ist.

Die Richterin zeigt sich unentschieden, einer der beiden Parteien zuzuneigen. Am liebsten wäre ihr, die Kontrahenten würden sich auf einen Vergleich einlassen. Die Facebook-Welt ist ihr unbekannt, die Funktionsweise der Kommentare erklären die Anwälte. Aber einigen wollen sich die beiden noch immer nicht. Sie bekommen Zeit, sich schriftlich zu äußern. Facebook wird den Kontext der drei vermeintlichen Beleidigungen vorlegen. Entscheiden will die Richterin im Januar. Doch egal wie sie entscheiden werde, gibt sie zu verstehen, sie sei sicher, dass eine der beiden Seiten das Urteil einen Stock höher überprüfen lasse. Dort sitzt das Landgericht.