Klage gegen Focus Eine Frage der Ehre

Wegen eines "Focus"-Titelbilds der Aphrodite mit ausgestrecktem Mittelfinger müssen sich mehrere Journalisten in Athen vor Gericht verantworten.
Athen - Das Strafverfahren gegen den Herausgeber und mehrere Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins "Focus" in Athen zieht sich in die Länge - und gewinnt an Brisanz. Am Dienstag wurde der Prozess erneut vertagt. Es geht an diesem Morgen im Landgericht um Delikte wie Drogenhandel, Diebstahl und unerlaubten Waffenbesitz. Nachdem die Richterin drei Halbwüchsige, denen ein versuchter Einbruch vorgeworfen wird, mangels Beweisen freigesprochen hat, wendet sie sich dem schwierigsten Fall der Tagesordnung zu. Das sieht man schon an dem Stapel von Schriftsätzen, der sich vor ihr auftürmt. Es geht um die Ehre der Griechen.
Die Richterin löst die Kordel, die den Aktenstapel zusammenhält, und ruft die Angeklagten auf: "Breithaupt?" Die Vorsitzende lässt ihren Blick schweifen. "Zeslanski?" Nichts rührt sich im Publikum. "Markwort?" Aber auch Helmut Markwort ist nicht erschienen. Vielleicht war ihm die Reise zu weit, vielleicht erschien ihm die Anklage zu absurd, vielleicht fürchtet er auch einen Haftbefehl.
Markwort lässt sich von Anwälten vertreten. Er ist Herausgeber des Magazins "Focus", das am 22. Februar 2010 mit einer Fotomontage auf dem Titel erschien. Der Anwalt Theodoros Frangakis hat das bereits etwas zerfledderte Heft dabei und zeigt es bereitwillig jedem, der es noch nicht gesehen hat. Aber die meisten Griechen kennen es. Es zeigt die Statue der Aphrodite von Milos. Den Mittelfinger streckt die Liebesgöttin zum "Stinkefinger" aus. "Betrüger in der Eurofamilie" steht daneben - eine Anspielung auf die Bilanzkosmetik, mit der sich der Schuldenstaat Griechenland Ende der 90er Jahre Zutritt zur Eurozone verschaffte.
Verhandlung auf den 9. Dezember vertagt
"Das lassen wir uns nicht gefallen", sagt Frangakis. Der 66-Jährige hat den Fall ins Rollen gebracht. Gemeinsam mit sechs Kollegen hat er Strafantrag gegen Markwort und zwölf "Focus"-Mitarbeiter gestellt. Sie hatten in der Titelgeschichte von Korruption und Steuerhinterziehung berichtet und den, wie sie meinen, "allgegenwärtigen Niedergang" Griechenlands "von der Wiege zum Hinterhof Europas" geschildert. Der Grieche Frangakis sieht dadurch die Tatbestände der Beleidigung, der üblen Nachrede und Verunglimpfung griechischer Staatssymbole erfüllt.
Darauf stehen bis zu zwei Jahre Haft. Aber darum geht es ihm weniger. Er will vor allem Geld. Er bereitet bereits eine Zivilklage gegen das Münchner Magazin vor: er hofft auf mehrere Millionen Euro Schmerzensgeld. Dazu müsste allerdings erst einmal ein Urteil gefällt werden. Aber das Verfahren kommt nur mühsam in Gang. Als die Verteidiger beantragen, die Klage abzuweisen, kommt es zu Tumulten. Die "Focus"-Anwälte werden wüst beschimpft. Rufe wie "Nazis raus" und "Verdammte Faschisten" ertönen aus dem Publikum.
Doch unterdessen bekommt das anfangs von manchen als Justizposse betrachtete Verfahren eine brisante Dimension: nach langer Beratung weist das Gericht den Antrag der Verteidiger auf Einstellung des Verfahrens ab und vertagt den Prozess auf den 9. Dezember. Damit steigen nicht nur die Hoffnungen der Kläger auf Schmerzensgeld. Es öffnet sich auch die Tür einen Spaltbreit für Schadenersatzansprüche aller Griechen, die sich durch den "Focus"-Titel in ihrer Ehre gekränkt fühlen.
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