Natürlich ist eine Klage von Eltern gegen das Land eine neue Eskalationsstufe im Streit um Unterrichtsausfall. Aber er könnte eine neue Sichtweise auf das Thema ermöglichen, kommentiert Jan Georg Plavec

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Erziehungsberechtigten sagt man heutzutage nach, dass sie gern ein wenig zu brüsk für die Interessen ihres Nachwuchses eintreten – auch und gerade in Schulangelegenheiten. Der empörte Anruf beim Lehrer wegen der Fünf in Mathe ist jedoch nichts gegen den jüngsten Vorstoß: Eltern wollen wegen mangelhafter Unterrichtsversorgung vor Gericht ziehen.

 

Noch ist völlig unklar, welche Erfolgschancen so eine Klage hat. Es wird nicht leicht, ein Gericht davon zu überzeugen, dass die Lebenschancen von Gymnasiasten in Baden-Württemberg schlechter sind als in anderen Ländern. Deutsche Gerichte haben sich noch nicht klar dazu geäußert, auf wie viel Unterricht Schüler einen einklagbaren Anspruch haben – oder ob so ein Anspruch überhaupt besteht. Das liegt nicht zuletzt an der katastrophalen Datenlage. Es gibt deutschlandweit weder vergleich- noch belastbare Zahlen. In Baden-Württemberg hat das Kultusministerium den Unterrichtsausfall im Juni 2018 zum ersten Mal überhaupt umfassend ermittelt – für eine von fast vierzig Schulwochen. Wo aber Fakten fehlen, werden Debatten stärker emotional geführt.

Eine Klage ist selten geeignet, um schrille Diskussionen zu versachlichen – so auch in diesem hochpolitischen Fall. Aber vielleicht führt der Vorstoß ja dazu, dass die Eltern und die Ministerin sich nicht nur vor Gericht treffen, sondern zum ernsthaften Gespräch. Wenn es dann um ein Recht auf Unterricht ginge, wäre viel gewonnen. Das Land könnte sich beispielsweise zu Mindeststandards verpflichten – und müsste in der Folge sicherstellen, dass es genügend Lehrer gibt. Ein einklagbarer Anspruch würde der Schulverwaltung Beine machen. Vielleicht ist das – ähnlich wie beim Thema Kitaplatz – der Paradigmenwechsel, den es braucht.

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