Mehr als 300 Städte und Gemeinden im Südwesten fürchten um Geld aus dem Landestopf. Grund ist die Volkszählung, bei der sich die Kommunen kleiner gerechnet fühlen. Jetzt will eine Handvoll für alle die Kastanien aus dem Feuer holen.

Mehr als 300 Städte und Gemeinden im Südwesten fürchten um Geld aus dem Landestopf. Grund ist die Volkszählung, bei der sich die Kommunen kleiner gerechnet fühlen. Jetzt will eine Handvoll für alle die Kastanien aus dem Feuer holen.

 

Stuttgart - Im Konflikt um den jüngsten Zensus stehen die voraussichtlichen Vorkämpfer gegen dessen Ergebnisse fest: Die Städte Mannheim, Heilbronn, Esslingen am Neckar, Emmendingen, Metzingen und Rutesheim wollen vor den Kadi ziehen - zum Teil vorbehaltlich noch ausstehender Gemeinderatsvoten. So wird in jedem der vier Verwaltungsgerichtsbezirke im Land - Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Sigmaringen - mindestens eine Klage mit dem Ziel anhängig sein, die im Zensus festgestellten Einwohnerzahlen zu revidieren, kündigte der Städtetag am Freitag an.

Knackpunkt des Rechtsstreits ist, dass das Statistische Landesamt in vielen Fällen weit niedrigere Einwohnerzahlen festgestellt hat als vor dem Zensus. Deshalb gehen den Gemeinden an der Bevölkerungszahl orientierte Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich verloren. Pro Einwohner werden jährlich rund 1000 Euro angesetzt. Es geht also zum Teil um Millionenbeträge. Außerdem kritisieren die betroffenen Kommunen die mangelnde Transparenz der Erhebung.

„Wir beschränken uns wie in anderen Bundesländern auf Pilotverfahren, um Kosten zu sparen“, sagte Städtetagsdezernent Norbert Brugger der Nachrichtenagentur dpa. Sein Verband wird über die Pilotverfahren gegen das Statistische Landesamt Anfang April abschließend entscheiden. Noch im April könnten die ersten Klagen bei den Verwaltungsgerichten eingereicht werden. Unter anderem gibt es auch in Bayern und Hessen Musterklagen.

„Wir haben bei den Pilotverfahren alles im Köcher - von Großstädten bis hin zu einer kleineren Stadt in der Größenordnung von 10.000 Einwohnern“, sagte Brugger. Abgedeckt seien auch unterschiedliche Fehlerquellen - vom unterschiedlichen Zählverfahren für Kommunen unter und über 10.000 Einwohner über Auffälligkeiten bei bestimmten Einwohnergruppen bis hin zu gravierenden Abweichungen vom Qualitätsanspruch des Zensusgesetzes. Auf diese Kommunen habe sich der Städtetag mit dem beklagten Statistischen Landesamt geeinigt, das im Gegenzug dem Ruhen der Verfahren anderer klagender Gemeinden zustimmt.

Brugger rechnet mit bis zu 100 Klagen

Das Landesamt hatte Ende Mai 2013 bekanntgegeben, dass im Südwesten mit 10,48 Millionen Personen knapp 274.000 oder 2,5 Prozent Männer und Frauen weniger wohnen als bislang offiziell ausgewiesen. Das war der höchste Minus-Wert aller Flächenländer.

In manchen Kommunen schlagen die Ergebnisse mit dreistelligen Minusbeiträgen ins Kontor, in Mannheim bis 2021 mit bis zu 230 Millionen Euro. Die Quadratestadt hat jetzt offiziell 23 500 Einwohner (minus 7,5 Prozent) weniger als vor dem Zensus. Heilbronn hat ein Minus von 6,1 Prozent zu verkraften, Esslingen von 5,5 Prozent. Rutesheim im Kreis Böblingen, die kleinste der klagenden Gemeinden, hatte als erste Stadt im Südwesten gegen das Ergebnis der Volkszählung Widerspruch eingelegt.

Bislang haben mehr als 50 Kommunen erklärt, gegen die Neufeststellung ihrer Einwohnerzahlen bei der Volkszählung 2011 gerichtlich vorzugehen, falls ihre Widerspruchsverfahren erfolglos bleiben. Insgesamt hatten über 300 Städte und Gemeinden Widerspruch eingelegt. „Ich rechne mit bis zu 100 und mehr Klagen“, sagte Brugger. Diese Kommunen können bei Gericht beantragen, ihre Verfahren ruhen zu lassen, und haben wegen der Zustimmung der beklagten Behörde dabei gute Chancen. Im Falle eines Erfolgs der Pilotklagen können sie dann ihre Forderungen geltend machen.

Brugger geht davon aus, dass die vom Städtetag vorbereiteten Klagen bis in die höchste Instanz gehen. „Unsere Textgrundlage zielt darauf ab, dass das Bundesverfassungsgericht das Zensusgesetz des Bundes überprüft.“ Das Statistische Landesamt verwies auf frühere Äußerungen zu dem Konflikt. Demnach hält es die Angriffe auf den Zensus für ungerechtfertigt und warnt die Gemeinden vor aussichtslosen Klagen.