Das Verwaltungsgericht Stuttgart verweist auf das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit. Sie lässt Kommunen einen Spielraum bei der Kandidatenvorstellung.

Stuttgart - Das Verwaltungsgericht Stuttgart wollte am Dienstag zwei Klagen gegen die OB-Wahl in Stuttgart von November 2020 verhandeln. Aufgerufen werden konnte von der 7. Kammer nur eine, die des OB-Kandidaten Ralph Schertlen. Der Mitbewerber und Kläger Marco Völker (44), der im entscheidenden Wahlgang 0,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte, zog seine Klage im letzten Augenblick zurück. Beide hatten gefordert, die Wahl für ungültig zu erklären.

 

Völker hatte gefordert, die Wahlkampfkostenfinanzierung von OB Frank Nopper (CDU, 42,3 Prozent) aufzuklären. Er hatte Nopper vorgeworfen, mutmaßlich hohe Summen über einen CDU-nahen Spendenverein eingenommen zu haben. Er mutmaßte, der OB stehe damit bei den Spendern in einer Art Ausgleichspflicht. Der Verein ist, anders als die CDU-Kreispartei, auch bei hohen Spenden nicht publizitätspflichtig. Er kann aber auch keine Spendenbescheinigung ausstellen.

Der Kläger Völker taucht ab

Zu den Gründen seines Rückzugs äußerten sich auf Anfrage weder Völker noch sein Anwalt Rolf Gutmann. Telefonisch war Völker am Dienstag nicht erreichbar. Per Mail teilte er mit, an einer Presseerklärung zu arbeiten, „in welcher meine Beweggründe für die Rücknahme der Klage in den nächsten Tagen erläutert werden“.

Die Klage des früheren Stadtrats Ralph Schertlen (Stadtisten) zielte nicht auf ein Ungleichgewicht der Wahlkampf-Finanzierungsmöglichkeiten, sondern auf eines bei der Wahlwerbung über teils öffentliche Medien. Schertlen forderte „Chancengleichheit“ ein. Die Chancen dürften bei einer Persönlichkeitswahl nicht an einem Parteienproporz ausgerichtet werden. Er sei „nicht der einzige Bewerber, der sich ungerecht behandelt fühlte“, so Schertlen. Mit seinen Qualifikationen habe er anderen Kandidaten wie dem SPD-Stadtrat Martin Körner, der in der ersten Wahlrunde zur Spitzengruppe gezählt und selbstverständlich zu allen Podiumsdiskussion eingeladen worden sei, in nichts nachgestanden.

Gemeinde ist bei Kandidatenvorstellung frei

„Kandidaten, die vermeintlich prominent waren, wurden prominent gemacht“, so Schertlen. Der Wähler habe keine „Holschuld“, sondern die Stadt oder öffentliche Sender wie der SWR, aber auch Stuggi TV oder städtisch unterstützte Stellen wie die VHS hätten eine Bringschuld. Sie müsse mit einer im Umfang gleichen Berichterstattung über alle Kandidaten eingelöst werden. Mit seiner Bemerkung, er sage „nicht, dass alle Kandidaten einen Blick wert sind“, qualifizierte Schertlen einen Teil ab.

Das Gericht folgte der Argumentation von Schertlen, der ohne juristischen Beistand auftrat, nicht. Die Vorsitzende Richterin Sabine Mühlenbruch verwies auf ein neues Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. Darin heißt es, dass jede Gemeinde frei darüber entscheiden könne, wie sie eine öffentliche Kandidatenvorstellung vornimmt und ob sie sie zum Beispiel ins Internet überträgt.

Unterschiede nicht nivellieren

Richter Benjamin Singer erläuterte, bei der OB-Wahl gelte der Grundsatz der „abgestuften Chancengleichheit“. Das bedeute, „dass diejenigen, die mehr Chancen haben, mehr Präsenz und Einladungen zu Veranstaltungen bekommen können. Man darf die bestehenden Unterschiede nicht nivellieren, das steht dahinter“, so Singer. Sowohl bei Stuggi TV als auch im Fall der Architektenkammer sei es „wohl in Ordnung gewesen“, Schertlen nicht einzuladen oder ihm weniger Sendezeit zuzugestehen. Die Kammer sehe, so Singer, keinen Grund, vom Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit abzuweichen. Ihre Entscheidung will sie an diesem Mittwoch bekannt geben.