Laut Grundgesetz dürfen Beamte in Deutschland nicht streiken. Dagegen haben vier Lehrer geklagt. Sie wollen erreichen, dass manche Beamte für ihre Rechte auf die Straße dürfen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Es ist ein netter Zufall, dass gerade an dem Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht darüber verhandelt, ob beamtete Lehrer in Zukunft streiken dürfen, eine Schülergruppe im Zuhörersaal Platz genommen hat. Für Paride aus der 9. Klasse des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums in Hockenheim ist die Sache klar. „Natürlich nicht“, sagt der Schüler, und liefert die Begründung gleich nach: „Lehrer sind genau so wichtig wie Polizisten, die dürfen das auch nicht“. Eine Klassenkameradin ist anderer Ansicht, Lehrer dürften schließlich niemanden verhaften. Die Schüler haben damit unmittelbar vor der Verhandlung auf den Punkt gebracht, worüber sich eine illustre Riege an Rechtsgelehrten in den nächsten Stunden streitet.

 

Die Frage, ob Lehrer oder andere Beamte streiken dürfen, ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es gibt Artikel neun, der bestimmt, dass jedermann das Recht hat Gewerkschaften zu gründen, um seine Arbeitsbedingungen zu fördern. Und es gibt Artikel 33, der das Berufsbeamtentum garantiert. Die beiden Vorschriften stehen in einem Spannungsverhältnis. Das Streikverbot für Beamte ist von den Gerichten in der Vergangenheit aus eben diesem Artikel 33 abgeleitet worden, und stand lange Zeit nicht mehr zur Diskussion – bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen neuen Impuls gesetzt hat. Ein absolutes Streikverbot für Beamte verstoße gegen die Menschenrechte, befanden die Straßburger Richter in zwei Entscheidungen, deren Fälle in der Türkei spielten. Nun gelte es das deutsche Recht und das europäische Recht zusammenzubringen, sagte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch. Und auch wenn nicht über die Zukunft des Beamtentums entschieden werde: „Die Entscheidung ist hinsichtlich ihrer Auswirkung auf das Berufsbeamtentum nicht zu unterschätzen“.

Der Innenminister verteidigt den status quo

Das hat auch Thomas de Maiziére erkannt. Offiziell haben in Karlsruhe vier beamtete Lehrer aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein das Verfahren in Gang gesetzt. Schulen sind Ländersache. Der Bund ist dem Verfahren jedoch beigetreten, und der Bundesinnenminister ist nach Karlsruhe gereist, um machtvoll gegen eine Änderung des status quo zu argumentieren. Das Streikverbot sichere die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, das deutsche Beamtenrecht sei ein Gesamtsystem, in dem Rechte und Pflichten sorgfältig austariert seien, ohne ein Streikverbot käme das gesamte System ins Wanken, so der Minister. Er sagt es nicht so, aber es schwingt mit: sollten die Lehrer Recht bekommen, dann steht das Staatswesen auf dem Spiel.

Das sehen die Vertreter der Lehrer, insbesondere die Lehrergewerkschaft GEW, ganz anders. Und weil auch die Lehrer nicht zur großen Revolution aufrufen wollen, bieten sie als Denkmodell eine Unterscheidung an, die es bisher nicht gibt. Beamte sollen nicht nach ihrem Beamtenstatus beurteilt werden, sondern nach ihrer Funktion. Da gibt es dann hoheitlich tätige, wie Polizisten , die nach wie vor nicht streiken dürfen. Und es gibt andere, die wichtig sind, aber eben nicht hoheitlich arbeiten – wie Lehrer. Die Begrifflichkeit wirbelt in der Verhandlung wild durcheinander. Mal ist von Funktionsbeamten und Statusbeamten die Rede, mal von Randbereichsbeamten und Kernbeamten, mal von Beamten 1. Klasse und 2. Klasse. Thomas de Maiziére und Vertreter all derjenigen Stellen und Institutionen, die Änderungen am bestehenden Verhältnissen ablehnen, sind sich sicher: das geht nicht. Matthias Pechstein, Rechtsprofessor an der Viadrina in Frankfurt/Oder bringt für den Deutschen Beamtenbund – der solch eine Zweiteilung und ein Streikrecht ablehnt – ein pointiertes Argument: wenn die weniger wichtigen Beamten streiken dürfen werden sie letztlich besser gestellt als diejenigen, denen eine hoheitliche Aufgabe zugesprochen wird.

Urteil in einigen Monaten

Wie die Verfassungsrichter das Grundgesetz in diesem Punkt auslegen, wird erst in einigen Monaten ersichtlich, wenn es zu einer Entscheidung kommt. Dann wird sich auch zeigen, welche Bedeutung die Richter dem europäischen Recht zubilligen. Nach deutscher Rechtssystematik sind Entscheidungen der Straßburger Richter auf der Stufe eines Gesetzes, und somit unterhalb dem Grundgesetz angeordnet. Andererseits haben Straßburger Entscheidungen eine Orientierungswirkung.

Darüber, ob die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Einzelfall sei oder Signalcharakter habe, gibt es durchaus unterschiedliche Interpretationen. Die gibt es im übrigen bei fast jedem Satz des Straßburger Urteils, auch den ungeschriebenen – die Längen einer Urteilsbegründung sind in Karlsruhe und Straßburg sehr unterschiedlich. Klar ist laut Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle allerdings, dass Straßburg die Aufgabe habe Minimalstandards zu setzen, nicht das gesamte Recht zu harmonisieren. Die Werte der Verfassung seien berücksichtigungsfähig.