Wegen der VW-Abgasaffäre rollt auf die Dachgesellschaft Porsche SE eine Welle von Klagen zu. Die erste wurde jetzt vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Klar ist bisher nur: es geht um komplizierte Rechtsfragen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Abgasaffäre bei Volkswagen wird nun auch von der Justiz in Baden-Württemberg aufgearbeitet. Vor dem Landgericht Stuttgart wurde am Freitag erstmals über die Klage eines institutionellen Investors gegen die Porsche Automobil Holding SE als Muttergesellschaft von VW verhandelt. Der Kläger, ein britischer Pensionsfonds, fordert von der Porsche SE 5,7 Millionen Euro Schadenersatz. Er wirft ihr vor, trotz Kenntnis von den Motormanipulationen bei VW keine Ad-Hoc-Mitteilung herausgegeben zu haben. Porsche weist die Klage zurück und sieht keinerlei Grundlage für solche Ansprüche.

 

Auf die Porsche Holding rollt vor dem Landgericht Stuttgart eine Welle von entsprechenden Klagen zu. Wie der zuständige Zivilrichter zu Verhandlungsbeginn erläuterte, seien inzwischen insgesamt 146 Verfahren anhängig. Dabei gehe es um ein Gesamtvolumen von fast 900 Millionen Euro, im größten Einzelfall um mehr als 500 Millionen Euro. In einem weiteren Verfahren soll voraussichtlich Ende November verhandelt werden, hatte eine Gerichtssprecherin mitgeteilt. Stuttgart bildet damit eine zweite Klagefront neben dem Landgericht Braunschweig, wo der Großteil der Klagen gegen VW anhängig ist.

Doppelrolle von Managern im Blick

Die am Freitag verhandelte Klage stützt sich vor allem auf die Doppelfunktion mehrer Topmanager bei Volkswagen und der Porsche SE. Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn, der einstige Finanzvorstand und heutige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der jetzige Volkswagen-Chef Matthias Müller waren zur fraglichen Zeit auch Vorstände der Porsche Holding.

Somit hätten sie frühzeitig Kenntnis vom Einsatz der Schummelsoftware gehabt, argumentieren die Anwälte der Kläger. Winterkorn habe bereits Mitte Mai 2014 – also gut ein Jahr vor dem Auffliegen der Manipulationen – einen Hinweis in seiner Post gehabt. Porsche wäre damit verpflichtet gewesen, die Kapitalmärkte zu informieren, habe dies jedoch unterlassen.

Porsche weist alle Ansprüche zurück

Die Porsche SE hält sämtliche Klagen für unbegründet. Sie verweist darauf, dass die Holding kein eigenes operatives Geschäft habe und als Gesellschafterin von Volkswagen dort grundsätzlich nicht in das operative Geschäft involviert sei. Die VW-Vorstände, die zugleich im Vorstand der Porsche SE saßen, hätten zudem eine strikte Verschwiegenheitspflicht über etwaige Erkenntnisse gehabt, die sie im Rahmen ihres Mandats bei Volkswagen erlangten.

In der Verhandlung vor dem Landgericht erläuterte der zuständige Richter ausführlich die Rechtsfragen, die der Fall aus seiner Sicht aufwirft. Er habe sich sechs Wochen damit auseinandergesetzt und sehe vor allem zwei Grundfragen. So sei zu klären, ob die Porsche SE durch die Vorgänge bei Volkswagen überhaupt in ihrer Publizitätspflicht betroffen sei. Dies dürfte nur dann der Fall sein, wenn die Vorgänge bei der Muttergesellschaft neben den allgemeinen Auswirkungen besondere, kursrelevante Folgen hätten – etwa, dass Wertberichtigungen vorgenommen werden müssten oder die Dividendenfähigkeit beeinträchtigt wäre. Sollte man dies verneinen, müssten die Klagen bereits an dieser Stelle abgewiesen werden, erläuterte der Richter.

Pflicht zur Verschwiegenheit wiegt schwer

Die zweite zentrale Frage sei, ob den Managern der Porsche SE mit Funktionen auch bei VW ihr Wissen zugerechnet werden könne. In einem Hinweisbeschluss für ein weiteres Verfahren hatte der Richter bereits die Bedeutung der Pflicht zur Verschwiegenheit herausgestrichen. Dabei verwies er auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zu einem Aufsichtsrat bei Porsche und VW, wonach vertrauliche Informationen aus dem Kontrollorgan des einen Unternehmens nicht an das andere weitergegeben werden dürften. Das persönliche Wissens des Aufsehers könne diesem daher nicht zugerechnet werden.

Auf der anderen Seite könnte es auch eine Pflicht geben, Informationen abzufragen, wird in dem Beschluss erläutert. Hier müssten die Kläger darlegen und beweisen, welche Pflichten die Doppelmandatsträger verletzt hätten. Eine Rolle spielt für das Gericht auch eine Vereinbarung, nach der VW „bestandsgefährdende Risiken“ hätte melden müssen.

Chance für zweites Musterverfahren in Stuttgart

Positiv äußerte sich der Richter zur Möglichkeit eines zweiten Musterverfahrens in der VW-Affäre, das Kläger beantragt haben. Ein erstes mit Blick auf VW soll vor dem Oberlandesgericht Braunschweig geführt werden. Ein zweites mit dem Fokus auf Porsche könnte das OLG Stuttgart beschäftigen. Zum gleichen Sachverhalt könne es nur ein Musterverfahren geben, aber es sei wohl von unterschiedlichen Sachverhalten auszugehen. Bis zur Entscheidung über solche Musterklagen werden laufende Prozesse ausgesetzt.