Die „Tote im Götakanal“ von 1965 ist ein großer Klassiker der Krimigeschichte. Klassiker, das heißt normalerweise: keiner liest das noch. Der Debütroman des Duos Sjöwall/Wahlöö aber ist frisch wie am ersten Tag und sollte unbedingt immer neue Leser finden.
Stuttgart - Mit 14 oder 15 muss ich wohl meinen ersten Kommissar-Beck-Roman gelesen haben, „Die Tote im Götakanal“. Und dann gab es damals auch noch die Hörspiele. In meiner Erinnerung sprach bislang Christian Brückner immer alle Rollen, aber Wikipedia weiß es besser: er war nur der Kommissar Rönn, eine Nebenfigur. Manchen schönen Erinnerungen sollte man lieber gar nicht erst nachgehen. Mit diesem beunruhigenden Gedanken habe ich mir vor ein paar Tagen „Die Tote im Götakanal“ neu besorgt, den ersten der zehn Beck-Romane.
Neu besorgt in alt: es gibt eine neue Übersetzung, die frischer sein soll als die vertraute aus den 80ern, in der sich ja wirklich die eine oder andere Merkwürdigkeit fand. „Die Uhr war neun.“ So heißt das offensichtlich auf Schwedisch, und der Versuch des Übersetzers, diese Formulierung auch in Deutschland heimisch zu machen, muss wohl als gescheitert betrachtet werden. Trotzdem wollte ich lieber die alte Version lesen: Um herauszufinden, ob das, was damals so gut war, heute auch noch taugt.
Schweden als soziale Wüste?
Also: es taugt. Und wie! Maj Sjöwall und Per Wahlöö waren ein Paar, das offenbar so glücklich war, dass es sogar gemeinsam Bücher schreiben konnte. Außerdem waren die beiden Marxisten, was dazu führte, dass sie in den späteren Beck-Büchern immer öfter sozialistische Exkurse über die schlimmen gesellschaftlichen Verhältnisse in Schweden einbauten. Was aus heutiger Sicht etwas bizarr erscheint: Schweden als soziale Wüste? Was ist dann der Rest der Welt? Dantes Inferno?
Andererseits muss man es erst mal hinkriegen, marxistische Bücher zu schreiben, die bis heute als beste Unterhaltung gelesen und verfilmt werden. „Die Tote aus dem Götakanal“ kommt aber noch ganz ohne Agitation aus, und das ist ein Segen. Der Roman erschien 1965, in einer Zeit, die der unseren fast so fern ist wie 1930 oder 1910. Kein Handy, kein Internet, kein Computer, es hat nicht mal jeder ein Auto – der Kommissar muss die Straßenbahn nehmen. Und das Erstaunliche: Sjöwall und Wahlöö haben so gut geschrieben, dass das alles überhaupt nichts ausmacht, dass dieses 1965 nach ein paar Seiten einfach das Jetzt ist – ein Jetzt ohne den ganzen technischen Firlefanz, aber mit denselben, lebendigen Menschen.
Lakonisch, nüchtern, knochentrocken
Sjöwall und Wahlöö waren große Fans der amerikanischen Krimis. Und sie können noch immer locker mithalten mit den besten davon. Lakonische Beschreibungen, nüchterne Beobachtungen, knochentrockene Dialoge – und keiner wälzt sich in seiner zarten Gefühlswelt. Falls er es doch tun sollte, ist es den Autoren wurscht. Gewisse mir bekannte Kritiker würden diesen Stil vermutlich „luzide“ nennen. Hemingway hätte dafür ein „good“ vergeben. Aber ausgerechnet der hatte sich schon Jahre vor „Die Tote im Götakanal“ in seiner Gefühlswelt verstrickt. Und man weiß ja, wie das ausging.
Maj Sjöwall, Per Wahlöö: „Die Tote im Götakanal“. Roman. Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder (Neuübersetzung) und von Johannes Carstensen (Altübersetzung). Rororo TB, Reinbek. Binder-Übersetzung: 288 Seiten, 9,99 Euro. Carstensen-Übersetzung: 256 Seiten, antiquarisch, in der Wühlkiste für Cent-Beträge. Auch als Audiobook, u.a. mit Christian Brückner, 5,99 Euro.